Sturz der Tage in die Nacht
Laune.
Ich leg ihm Bier und Würstchen in den Kühlschrank und schleppe ihn auf Feten mit. Der schafft es ja noch nicht mal, mit seinen Nachbarn zu reden, geschweige denn, eine Frau anzuquatschen. Wenn ich ihm eine vorstelle, dann tu ich so, als wär seine Schweigsamkeit was ganz Geheimnisvolles, ein Typ mit Tiefgang. Da fahren die Mädels drauf ab. Der kapiert schon, was er an mir hat. Da kann er mich auch bei sich pennen lassen!
Die Grillfeten in Feldbergs Datsche waren Felix’ Idee.
Feldberg hatte seine schiefe, selbstgemauerte Terrasse gefegt und Holzkohle gekauft. Er hatte kästenweise Bier und Schnaps und Sekt besorgt und sich wie immer darauf verlassen, dass Felix Ton die richtigen Leute mitbrachte. Der Regen der vergangenen Nacht stand in den Pfützen. Neuankömmlinge mussten einen großen Schritt über den aufgeweichten Boden machen, wenn sie die Terrasse betraten, und von weitem sah es aus, als würden sie zögern, als würden sie noch einmal überlegen, ob sie nicht doch woanders hingehen sollten. Als der Grill später zum Lagerfeuerkübel umfunktioniert wurde, wurden die Pfützen zur Zielscheibe für Zigarettenkippen, und wäre die Stimmung nicht so aufgeheizt gewesen, hätte man gelungene Würfe am Zischen erkannt.
Der September 1984 war fast fünfundzwanzig Jahre her.
Purer Zufall, dass sie das Grundstück nicht durch die Gartentür betreten hatte, sondern außenherum gegangen und am Kompost durch eine Lücke im Holzzaun geschlüpft war. Auf diese Weise war sie unbemerkt bis zum Schuppen gelangt. Eine Gerätekammer eigentlich. Ein winziger Holzverschlag für Harken, Grubber und Spaten, vor dem sie stand und zur Terrasse hinübersah. Das Grundstück gehörte zu einer langen Reihe von Gärten, eine kleine, quadratische Parzelle, durch einen Sandweg von der nächsten getrennt, der im Sommer staubig, im Frühjahr und Herbst schlammig, im Winter glatt und nicht gestreut war. Aber im Winter waren die Beete und Büsche in den Gärten winterfest und die Lauben dicht, und bis auf einen Mann, der sein endgültiges Alter schon vor Jahren erreicht zu haben schien und immer gleich greisenhaft und kräftig wirkte, war niemand mehr hier.
Es war ein kühler Abend in diesem September, und sie wäre gern hinüber zum wärmenden Grill gegangen. Aber sie mochte es, unbemerkt im Schutz des Verschlags zu stehen und den Gestalten auf der leicht erhöhten Terrasse zuzusehen, die mit zunehmender Dunkelheit an Farbe verloren. Sie war keine zehn Meter entfernt, und sie konnte hören, was gesprochen wurde, und sie wollte wissen, was über sie gesprochen wurde, wenn sie nicht dabei war.
Felix Ton hatte die Holzkohlenzange in der Hand. Er berührte prüfend die Feder und ließ die Zange auf- und zuschnappen.
»Was bist’n du für’n Kunde«, sagte jemand im gestreiften Hemd, den sie nicht kannte. »Bei dem Sprit, den du da raufkippst, fackeln wir noch alle ab!«
Sie kannte nicht jeden auf der Terrasse. Die meisten der Frauen kannte sie nicht. Es kamen jedesmal andere, weil die Beziehungen und Affären mit den Männern, die sie auf Feldbergs Feten kennenlernten, nicht hielten. Sie mussten nicht halten, denn Felix brachte immer wieder neue Frauen mit. Er lernte sie bei seinen Werksbesuchen kennen, in Jugendklubs oder auf der Straße, sie flogen ihm zu, wie er einmal erklärt hatte, nicht ihr, sondern einer großen Blonden, die den Rekord aufgestellt hatte und dreimal hintereinander eingeladen gewesen war. Felix war an keiner dieser Frauen interessiert, jedenfalls hatte es lange den Anschein gehabt.
Er schnappte mit der Holzkohlenzange nach dem gestreiften Hemd.
»Ey, du Witzbold! Lass das! Ich versuche, deinen Kumpel vom Kokeln abzuhalten, damit wir heute noch was zwischen die Kiemen kriegen!«
»Leute, die zum ersten Mal hier sind, halten die Klappe«, sagte Felix zu ihm.
»Was hast’n da wieder alles rangeschafft, Feldberg?«, sagte ein anderer. »Sind das Schweinekoteletts?«
»Im rechten Topf«, sagte Feldberg. »Im linken ist Reh. Frisch aus der Decke geschlagen.«
»Gegrilltes Reh?«, schrie eine Frau.
»Autounfall?«, sagte der im gestreiften Hemd.
»Ich habe es in saure Sahne eingelegt«, sagte Feldberg an die Frau gewandt.
»Wenn’s ein Autounfall war, dann war’s hoffentlich nicht mit’m Trabi. Lass mein Hemd los, Mann!«
Felix nahm die Zange weg.
»Dann war’s hoffentlich mit’m Westwagen. Da ist wenigstens ordentlich Bumps dahinter, und das Tier leidet nicht stundenlang Todesqualen.«
»Wenn ihr
Weitere Kostenlose Bücher