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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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der Kollege grinsend gesagt,
macht dich weich
. Er kam aus der Hauptabteilung XIV , und Ton vermutete, dass seine Anweisung dem Verhalten gegenüber Häftlingen entsprach: man gab ihnen Nummern statt Namen.
    Ton hatte von Anfang an beim Außenhandel arbeiten wollen. Er, Resultat eines Ficks in der Kartoffelernte. Das war und war nicht eine günstige Voraussetzung für so eine Laufbahn. Günstig war es, weil er dem Ungetüm einer Bauernfamilie entsprang. Ungünstig, weil dieses Ungetüm sich so verhielt, als gebe es keinen Arbeiter- und Bauernstaat oder überhaupt einen Staat, in dem man sich an bestimmte Regeln und Vorschriften zu halten und produktiv etwas beizutragen hatte. Man hielt es für ausreichend, sich in löchrigen Vorkriegsmöbeln einzurichten, ein paar Ziegen zu hüten und sich an einem großen Gemüsebeet zu schaffen zu machen, dessen Ernte überschaubar blieb. Entweder vergaß man, die Tomaten zu stengeln oder den Rotkohl rechtzeitig ins Freiland zu pflanzen, oder die unter Lebensgefahr geklauten Schwarzwurzelsprösslinge wurden aus Versehen umgegraben, und manchmal verfaulte der Salat, weil das Ungetüm sich gerade im Familienstreit befand.
    Die Kartoffelernte war eine Zwangsveranstaltung gewesen, zu der seine Eltern unabhängig voneinander in verschiedenen Mannschaftswagen der Armee gekarrt worden waren, Kroppzeug, das eingegliedert und zu sozialistischen Menschen erzogen werden sollte. Aber bevor das glückte, hatte das Kroppzeug sich nicht nur miteinander bekannt gemacht, sondern auch schon vereinigt.
    Ihr einziger Beitrag zum sozialistischen Kampf für Frieden und Fortschritt war reichlich Leergut, meistens Schnaps- und Bierflaschen. Das wurde so lange im Keller gebunkert, bis es von selbst die Kellertreppe hinaufkam und Felix mit einem Fußtritt die Treppe hinunter befördert wurde, mit dem nützlichen Hinweis auf Taschengeld. Der Keller war permanent feucht. Das alte Bauernhaus, in dem sich die Tapeten beulten und im Winter überfroren, stand nah am Bodden auf sumpfigem Gelände. Auf Feten verkündete Ton gern, er komme aus dem Sumpf, und sogar Feldberg hatte eine Weile gebraucht, um die Doppeldeutigkeit zu kapieren. Ton war sicher, dass nicht die Versumpfung der Natur der Grund dafür war, dass die Behörden Haus und Bewohner schließlich in Ruhe ließen. Seine Eltern wurden nicht mehr zu Aussprachen vor dem Kollektiv in die Melkanlage geholt, Erziehungsmaßnahmen wurden eingestellt. Die LPG machte einen Bogen um dieses Haus. Selbst sein Klassenlehrer hatte Abstand davon genommen, Herrn und Frau Ton in die Schule vorzuladen. Immerhin hatte Rauter den Schneid gehabt, zu ein oder zwei Elternbesuchen vorbeizukommen. Seine Mutter hatte ihm daraufhin dreimal das Schulbrot geschmiert und Geld für einen Trainingsanzug besorgt, bevor alles wieder in den alten Trott zurückgefallen war.
    »Ganz nutzlos waren sie ja nicht«, hatte der Kollege mit dem Karnickel zu ihm gesagt. »Sei dankbar, mein Freund. Sie haben uns einen feinen Kerl wie dich gemacht. Nur den Kontakt solltest du unterlassen.«
    Von heute aus betrachtet war es eine gute Entscheidung gewesen, in die Wirtschaft zu gehen. So gelang der Übergang später fast nahtlos.
    Ein paar brenzlige Momente hatte es noch gegeben.
    Ein paar Reibereien hier und da. Holpersteine.
    Schwulitäten.
    Die Garzau-Liste, die irgendein Idiot im Atombunker vergessen hatte, war so eine Schwulität.
    Atomkriegssicher gelagert. Das musste man sich mal vorstellen.
    Kein Wunder, dass da die Reißwölfe schlappmachten.
    Man hätte es wie die Russen machen sollen, die das Zeug auf einen Truppenübungsplatz schleppten und den Flammenwerfer anschmissen. Und alles, was nicht brannte, wurde ausgeflogen nach Moskau.
    Stattdessen lagerten sie den heißen Datensatz in einem lichten Kiefernwäldchen hinter Straußberg. Wie blöd konnte man denn sein.
    Dachte Felix Ton auf der weißen Couch in seinem Barockaltbau, während draußen der Mond aufging. Blöder waren nur noch die Bürgerrechtler gewesen. Die kriegten gar nicht mit, was da mit ihrer Zustimmung und unter dem Schutz der Kirche vernichtet wurde. Die sammelten sogar noch brav die Akten auf, die beim Transport vom Laster fielen, und gaben sie bei der nächsten Polizeidienststelle ab, dachte Ton, oder die Geldkassette, die ihm jemand zurückgebracht hatte, die Scheine ordentlich noch drin, und er schmeckte dem letzten Schluck Hennessy nach, wie er sahnig den Mundraum füllte und weich durch die Kehle glühte.
    Nur in diesem

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