Sturz der Titanen
dauerte nicht lange, und seine Arme und Beine schmerzten. Zwar war er das Schaufeln gewöhnt, denn Dah hielt hinter dem Haus ein Schwein, und einmal die Woche musste Billy den Stall ausmisten, aber das war in einer Viertelstunde erledigt. Hier, unter Tage, sollte er eine volle Schicht lang schuften, und er war jetzt schon erschöpft.
Unter dem Kohlenschlamm war der Boden steinhart, was die Arbeit zusätzlich erschwerte. Billy versuchte, den Hunt ein Stück vorzuziehen, damit er nicht jedes Mal mit der vollen, schweren Schaufel dorthin laufen musste, doch die Räder waren rostig und hatten sich festgefressen.
Billy besaß keine Uhr, und es ließ sich nur schwer sagen, wie viel Zeit verstrichen war. Er beschloss, seine Kräfte einzuteilen, und arbeitete langsamer.
Plötzlich flackerte das Licht. Billy blickte besorgt auf seine Grubenlampe, ob die Flamme länger geworden war, was ein Anzeichen für Grubengas gewesen wäre. Zu seiner Erleichterung war das nicht der Fall.
Dann erlosch die Flamme.
Billy erstarrte. Eine solch undurchdringliche Finsternis hatte er noch nie erlebt. Er sah nichts – keine Schemen, keine Schatten. Er hielt sich die Schaufel vors Gesicht und konnte spüren, dass sie nur einen Zoll von seiner Nase entfernt war, aber sehen konnte er sie nicht. So musste es sein, wenn man blind war.
Furcht erfasste Billy. Was sollte er tun? Eigentlich musste er die Lampe zur Lampenkammer bringen, aber selbst wenn er etwas hätte sehen können – er hätte den Rückweg nie gefunden. In dieser Finsternis konnte er stundenlang umherirren. Er hatte keine Ahnung, wie weit die aufgegebene Strecke sich hinzog. Aber er wollte auch nicht, dass man einen Suchtrupp nach ihm ausschicken musste.
Was sollte er nur tun?
Mit einem Mal kam Billy ein Verdacht. Schon als Price ihm den Auftrag erteilt hatte, den Schlamm wegzuschaufeln, hatte er gemerkt, dass etwas faul war. Wahrscheinlich hatte Price die ganze Sache geplant. Eine Grubenlampe konnte nicht ausgeblasen werden, und hier regte sich ohnehin kein Lüftchen. Für Billy gab es nur eine Erklärung: Price hatte ihm eine Lampe untergeschoben, in der kaum noch Öl war.
Selbstmitleid überkam Billy. Tränen traten ihm in die Augen. Dann riss er sich zusammen. Das hier war eine Prüfung, genau wie die Fahrt im Korb. Na, er würde ihnen schon zeigen, dass er zäh genug für die Grube war!
Billy beschloss, im Dunkeln weiterzuarbeiten. Zum ersten Mal, seit das Licht erloschen war, bewegte er sich, setzte die Schaufel am Boden an und schob sie vor. Als er sie hob, glaubte er am Gewicht zu erkennen, dass eine Ladung Schlamm auf dem Blatt lag. Er drehte sich um, machte zwei Schritte, hob die Schaufel und versuchte, den Schlamm in den Förderwagen zu werfen, verschätzte sich aber in der Höhe. Die Schaufel prallte gegen den Förderwagen, und der Schlamm klatschte zu Boden.
Billy versuchte es noch einmal, hob die Schaufel diesmal höher, kippte das Blatt leicht, ließ die Schaufel sinken und hörte, wie der Holzstiel gegen die Kante des Förderwagens schlug. Schon besser. Um sich die Orientierung zu erleichtern, zählte Billy jedes Mal seine Schritte, wenn er sich vom Hunt entfernte. Bald fand Billy in einen Rhythmus. Die Eintönigkeit der Arbeit ließ seine Gedanken abschweifen. Schaudernd dachte er an die gewaltige Erdmasse über seinem Kopf, mehr als eine halbe Meile dick, und an das ungeheure Gewicht, das die alten Stützhölzer tragen mussten. Er dachte an seinen Bruder Wesley und die vielen anderen Männer, die in dieser Zeche unter den Berg gekommen waren. Ob ihre Geister hier unten umgingen? Nein, bestimmt nicht. Wesley war im Himmel, und die anderen vielleicht auch, jedenfalls die Frommen und Gottesfürchtigen.
Erst jetzt merkte Billy, dass er hungrig war. Indem er sich am Förderwagen orientierte, bewegte er sich zu dem Stützbalken, an dem er seine Kleider aufgehängt hatte, tastete darunter am Boden und fand seine Flasche und die Brotdose. Er setzte sich mit dem Rücken an die Wand und nahm einen großen Schluck kalten, gesüßten Tee. Als er von seinem Schmalzbrot abbiss, hörte er ein leises Fiepen, das ihm nur zu vertraut war.
Ratten.
Angst hatte Billy nicht. In den Gräben, die jede Straße in Aberowen säumten, gab es mehr als genug Ratten. Doch im Dunkeln schienen sie mutiger zu sein, denn im nächsten Moment huschte eine über Billys nackte Beine. Er nahm das Schmalzbrot in die linke Hand, packte die Schaufel und schlug zu. Aber damit erschreckte er das
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