Sturz der Titanen
Tier nicht einmal, denn wieder spürte er die kleinen Krallen auf der Haut. Diesmal versuchten gleich mehrere Ratten, an seinen Armen hinaufzuhuschen. Offensichtlich rochen die Biester das Essen. Das Fiepen wurde lauter. Billy fragte sich, wie viele Ratten sich hier unten wohl herumtrieben.
Er stand auf, stopfte sich den letzten Rest Brot in den Mund, spülte mit einem Schluck Tee nach und aß den Kuchen, der köstlich nach Dörrobst und Mandeln schmeckte, doch die Ratten huschten noch immer um seine Füße herum, sodass Billy es vorzog, den Kuchen hinunterzuschlingen, ehe er ihm streitig gemacht werden konnte.
Die Ratten schienen endlich einzusehen, dass es hier nichts zu holen gab, denn das Fiepen wurde allmählich leiser und verstummte schließlich.
Mit frischer Kraft machte Billy sich wieder an die Arbeit. Doch der Rücken tat ihm weh, und seine Arme waren müde, sodass er langsamer machte und immer wieder Pausen einlegte. Wie spät mochte es sein? Vielleicht war schon Mittag. Und bei Schichtende würde bestimmt jemand kommen, um ihn zu holen, denn der Lampenmann zählte nach; deshalb wusste man immer, wenn ein Kumpel nicht zurückgekommen war.
Mit einem Mal kam Billy ein beängstigender Gedanke. Wollte Price ihn über Nacht hier unten allein lassen? Hatte er deshalb die Lampen vertauscht?
Nein, bestimmt nicht. Dah würde Wirbel machen. Und die Bosse hatten Angst vor ihm; das hatte Generaldirektor Jones mehr oder weniger zugegeben.
Als Billy wieder hungrig wurde, war er sicher, dass viele Stunden verstrichen sein mussten. Erneut beschlich ihn Angst, und diesmal gelang es ihm nicht, sie abzuschütteln. Es war vor allem die Dunkelheit, die ihm zu schaffen machte. Das Warten hätte er ertragen können, doch die undurchdringliche Schwärze wurde immer furchterregender. Billy hatte kein Gefühl mehr für die Richtung. Jedes Mal, wenn er sich vom Hunt entfernte, hatte er Angst, nicht mehr zurückzufinden. Er hatte alle Mühe, nicht loszuplärren wie ein kleines Kind.
Als die Verzweiflung beinahe übermächtig wurde, fiel ihm ein, was Mam zu ihm gesagt hatte: dass der Herr Jesus immer bei ihm sei, auch in der Grube. Mam hatte sicher recht: Jesus war überall, also war er auch hier unten in der Finsternis. Jesus war bei ihm und gab auf ihn acht.
Vor Dankbarkeit – vielleicht auch, um sich Mut zu machen – stimmte Billy ein Kirchenlied an. Zwar mochte er seine Stimme nicht, denn sie klang ihm noch zu hoch, aber hier konnte ihn niemand hören, und er sang aus vollem Hals. Als er alle Strophen gesungen hatte und das Angstgefühl sich wieder meldete, stellte er sich vor, dass Jesus auf der anderen Seite vom Förderwagen stand, einen Ausdruck von Milde und Mitgefühl im ernsten, bärtigen Gesicht, und sofort ging es ihm besser.
Billy kannte jede Menge Kirchenlieder. Seit er alt genug geworden war, um still zu sitzen, ging er jeden Sonntag dreimal in die Bethesda-Kapelle. Gesangbücher waren teuer, und nicht alle Gemeindemitglieder konnten lesen; deshalb lernten alle die Texte auswendig.
Und so sang Billy nun einen Choral nach dem anderen und schaufelte den Kohlenschlamm im Takt der Melodie. Die meisten Lieder endeten mit einem Schwung der Schaufel. Sobald die Angst, man könnte ihn vergessen haben, sich zurückmeldete, dachte Billy an die Gestalt im Umhang, die mild lächelnd in der Dunkelheit neben ihm stand.
Billy schätzte, dass eine Stunde vergangen war, als er zwölf Choräle gesungen hatte. Die Schicht musste jetzt doch zu Ende sein? Aber nichts tat sich, und mit wachsender Verzweiflung sang Billy die frommen Lieder noch einmal von vorn.
Er schmetterte gerade aus vollem Halse »Er ist erstanden aus dem Grab«, als er ein einsames Licht erblickte, das in der Dunkelheit auf und ab tanzte und bald heller wurde. Gespannt und ein wenig ängstlich stützte Billy sich auf seine Schaufel und blickte zu dem trüben Licht. Und dann schälte Rhys Price sich aus der Dunkelheit, die Lampe am Gürtel. Er musterte Billy mit seltsamer Miene, während das flackernde Lampenlicht auf seinem Gesicht spielte.
Billy ließ sich nicht anmerken, wie erleichtert er war, schon gar nicht Price gegenüber. Wortlos zog er Hemd und Hose an, nahm die erloschene Lampe vom Nagel und hängte sie sich an den Gürtel.
Price fragte: »Was ist mit deiner Lampe?«
»Sie wissen genau, was mit meiner Lampe ist«, entgegnete Billy, und seine Stimme klang so erwachsen wie noch nie.
Price drehte sich um und machte sich auf den Rückweg.
Ehe
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