Sturz der Titanen
können ein Reich zum Einsturz bringen, wenn man nicht sofort gegensteuert.« Walter nahm an, Fitz dachte an die irische Unabhängigkeitsbewegung und die südafrikanischen Buren, die das britische Empire bedrohten. »Aber man knackt eine Nuss nicht mit einem Vorschlaghammer«, beendete Fitz seinen Kommentar.
Diener nahmen die Suppenschüsseln weg und schenkten einen anderen Wein ein, doch Walter rührte sein Glas nicht an. Der Abend versprach, lang zu werden, und er brauchte einen klaren Kopf.
Maud sagte leise: »Ich habe heute zufällig Premierminister Asquith getroffen. Er hat gesagt, es könnte zu einem wahren Armageddon kommen.« Sie wirkte verängstigt. »Ich habe ihm nicht geglaubt, aber jetzt muss ich erkennen, dass er vielleicht doch recht hat.«
»Davor haben wir alle Angst«, erklärte Fitz.
Walter war wieder einmal von Mauds Verbindungen beeindruckt. Ganz beiläufig verkehrte sie mit den mächtigsten Männern in London. Er erinnerte sich, dass Maud schon mit elf oder zwölf Jahren, als ihr Vater Minister in einer konservativen Regierung gewesen war, dessen Kabinettskollegen ausgefragt hatte, wenn diese nach Ty Gwyn gekommen waren, und schon damals hatten diese Männer ihr aufmerksam zugehört und ihre Fragen geduldig beantwortet.
Maud fuhr fort: »Positiv ist nur eines: Sollte es zu einem Krieg kommen, sieht Asquith keinen Grund, dass England daran teilnimmt.«
In Walter keimte wieder Hoffnung auf. Falls England sich aus dem Konflikt heraushielt, würde ein Krieg ihn vielleicht doch nicht von Maud trennen.
Fitz schaute Maud missbilligend an. »Wirklich?«, sagte er. »Selbst wenn Frankreich von Deutschland überrannt werden sollte?«
»Asquith sagt, wir werden uns auf die Zuschauerrolle beschränken«, antwortete Maud.
»Ich habe schon seit Langem befürchtet«, sagte Fitz in herrischem Tonfall, »dass die englische Regierung die Machtverhältnisse in Europa falsch einschätzt.« Als Konservativer misstraute er der liberalen Regierung, und Premierminister Asquith hasste er sogar, weil er das Oberhaus nachhaltig geschwächt hatte. Vor allem aber hatte Fitz keine Angst vor einem Krieg. Walter befürchtete sogar, Fitz könnte den Gedanken an eine bewaffnete Auseinandersetzung genauso genießen wie sein Vater Otto. Fitz nahm eher einen Krieg in Kauf als eine Schwächung der britischen Macht.
»Bist du sicher, dass ein deutscher Sieg über Frankreich das Machtgleichgewicht stören würde?«, fragte Walter. Ein solches Gespräch war heikel für eine Dinnerparty, aber die Angelegenheit war zu wichtig, um sie einfach unter Fitz’ teuren Teppich zu kehren.
»Bei allem gebotenen Respekt deinem Land und Kaiser Wilhelm gegenüber«, antwortete Fitz, »aber Großbritannien kann nicht zulassen, dass Deutschland Frankreich kontrolliert.«
Walter versuchte, sich seinen Zorn nicht anmerken zu lassen. Ein deutscher Angriff auf Russlands Verbündeten Frankreich wäre ein Akt der Selbstverteidigung, aber die Engländer redeten, als würde Deutschland es darauf anlegen, ganz Europa zu erobern. Doch Walter zwang sich zu einem Lächeln und sagte: »Wir haben Frankreich schon vor dreiundvierzig Jahren besiegt, im Deutsch-Französischen Krieg. Damals hat Großbritannien auch nur zugeschaut. Und ihr habt nicht unter unserem Sieg gelitten.«
Maud warf ein: »Das hat Asquith auch gesagt.«
»Nur gibt es da einen Unterschied«, erwiderte Fitz. »1871 wurde Frankreich von Preußen und einer Allianz kleinerer deutscher Fürstentümer und Königreiche besiegt. Nach dem Krieg wurde aus dieser Allianz eine Nation, das moderne Deutschland – und ich bin sicher, Walter, alter Freund, du stimmst mit mir überein, dass Deutschland heute viel beeindruckender ist als das alte Preußen.«
Männer wie Fitz sind gefährlich, überlegte Walter. Mit ihren tadellosen Manieren führen sie die Welt in den Untergang. Er versuchte, seinen freundlichen Tonfall beizubehalten. »Du hast natürlich recht. Nur ist ›beeindruckend‹ nicht das Gleiche wie ›feindselig‹.«
»Genau das ist die Frage, nicht wahr?«
Am anderen Ende des Tisches hüstelte Bea tadelnd. Zweifellos hielt sie dieses Thema in solch einer Gesellschaft für unangemessen. »Freuen Sie sich schon auf den Ball der Herzogin, Herr von Ulrich?«, fragte sie.
»Ich bin sicher, der Ball wird ganz wunderbar«, erwiderte er und wurde von Bea mit einem dankbaren Nicken belohnt.
Tante Herm warf ein: »Sie sind ein wundervoller Tänzer!«
Walter lächelte die alte Dame
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