Sturz der Titanen
Achtundvierzigstundenfrist für die Antwort.
»Meine Güte, das ist hart«, sagte Walter.
»Wer sich mit dem österreichischen Kaiser anlegt, muss mit Härte rechnen.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber er lässt den Serben nicht einmal Spielraum, das Gesicht zu wahren.«
»Warum sollte er?«
Walter machte keinen Hehl mehr aus seiner Verzweiflung. »Um Himmels willen, will er denn Krieg?«
»Die Familie des Kaisers, das Haus Habsburg, hat seit Hunderten von Jahren über große Teile Europas geherrscht. Kaiser Franz Josef weiß, dass Gott ihn dazu bestimmt hat, über die niederen slawischen Völker zu herrschen. Das ist seine Bestimmung.«
»Gott schütze uns vor Männern, die eine ›Bestimmung‹ haben«, murmelte Walter. »Hat meine Botschaft dieses Schreiben schon gesehen?«
»Das wird jede Minute passieren.«
Walter fragte sich, wie die anderen wohl reagieren würden. Würden sie es akzeptieren wie Robert? Oder wären sie außer sich wie er selbst? Würde es lautstarke internationale Proteste geben oder nur ein diplomatisches Schulterzucken? Heute Abend würde er es erfahren. Walter schaute auf die Kaminuhr. »Ich komme zu spät zum Dinner. Bist du nachher auch auf dem Ball der Herzogin von Sussex?«
»Ja. Ich sehe dich dann da.«
Sie verließen das Gebäude und trennten sich auf der Straße. Walter ging zu Fitz’ Stadthaus, um dort zu dinieren. Er fühlte sich außer Atem, wie nach einem langen Lauf. Der Krieg, den er so sehr fürchtete, war ein ganzes Stück näher gerückt.
Walter traf gerade noch rechtzeitig ein, um sich vor Fürstin Bea in ihrem lavendelfarbenen Kleid zu verneigen und Fitz die Hand zu schütteln, der in seinem weißen Flügelkragen und mit der weißen Fliege umwerfend gut aussah; dann wurde auch schon zum Dinner gebeten. Walter war selig, dass man ihn dazu bestimmt hatte, Maud zum Tisch zu geleiten. Sie trug ein dunkelrotes Kleid aus einem weichen Stoff, der sich so eng um ihren Körper schmiegte, wie Walter es mochte. Als er ihr den Stuhl zurechtrückte, sagte er: »Was für ein attraktives Kleid.«
»Paul Poiret«, entgegnete sie und meinte damit einen Schneider, der so berühmt war, dass selbst Walter schon einmal von ihm gehört hatte. Sie senkte die Stimme. »Ich dachte mir schon, dass es dir gefällt.«
Die Bemerkung war nicht sonderlich intim; dennoch lief Walter ein wohliger Schauder über den Rücken, dem augenblicklich die Angst folgte, diese wunderbare Frau zu verlieren.
Fitz’ Stadthaus war kein Palast, aber durchaus nobel. Der lange Speisesaal befand sich an der Straßenecke, sodass man aus den Fenstern auf zwei Durchgangsstraßen blicken konnte. Trotz des sonnigen Sommerabends brannten elektrische Kronleuchter, deren Licht sich auf den Kristallgläsern und dem Silberbesteck spiegelte, mit dem der Tisch eingedeckt war. Walter schaute sich die anderen weiblichen Gäste am Tisch an und staunte wieder einmal darüber, wie viel Brust Engländerinnen der Oberschicht beim Dinner zeigten.
Solche Beobachtungen sind pubertär, Walter, ermahnte er sich. Es war wirklich an der Zeit, dass er heiratete.
Kaum hatte er sich gesetzt, zog Maud einen Schuh aus und fuhr ihm mit dem Zeh das Hosenbein hinauf. Er lächelte sie an, doch sie sah auf den ersten Blick, dass er in Gedanken woanders war. »Was ist?«, fragte sie.
»Fange ein Gespräch über das österreichische Ultimatum an«, murmelte er aus dem Mundwinkel. »Sag, du hättest gehört, die Note sei überstellt worden.«
Maud wandte sich an Fitz, der am Kopfende des Tisches saß. »Ich glaube, die Note des österreichischen Kaisers ist endlich in Belgrad abgegeben worden«, sagte sie. »Hast du etwas darüber gehört, Fitz?«
Fitz legte den Suppenlöffel beiseite. »Ich bin genauso klug wie du. Niemand weiß, was drinsteht.«
»Ich halte diese Note für ziemlich hart«, bemerkte Walter. »Die Österreicher bestehen darauf, aktiv in die serbischen Ermittlungen einzugreifen.«
Fitz schüttelte den Kopf. »Wenn der serbische Ministerpräsident zustimmt, kann er gleich seinen Rücktritt einreichen.«
Walter nickte. »Es ist beinahe so, als wollte Österreich den Krieg«, sagte er. Er war gefährlich nahe dran, sich unfreundlich über einen der Verbündeten Deutschlands zu äußern, aber er war besorgt genug, dass ihn das nicht kümmerte. Er schaute zu Maud. Sie war blass geworden. Auch sie hatte die Bedrohung sofort erkannt.
»Natürlich hat alle Welt Mitleid mit Franz Josef«, sagte Fitz. »Nationalistische Umtriebe
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