Sturz der Titanen
gebracht, und das war’s dann.«
Billy musterte ihn. George hatte eine krumme Nase, ein verstümmeltes Ohr und eine Narbe auf der Stirn. Er sah aus wie ein abgetakelter Boxer. »Wie alt bist du jetzt?«, fragte Billy.
»Siebzehn.«
Man durfte der Army erst mit achtzehn beitreten und musste neunzehn sein, ehe man nach Übersee gehen konnte – offiziell jedenfalls. Doch die Army verstieß ständig gegen beide Bestimmungen. Die Rekrutierungssergeanten und Stabsärzte erhielten eine Halfcrown für jeden Mann, der für tauglich befunden wurde, und erhoben nur selten Einwände, wenn ein Junge behauptete, er wäre älter, als er zu sein schien. Im Bataillon gab es einen Jungen namens Owen Bevin, der wie fünfzehn aussah.
»War das ’ne Insel, an der wir gerade vorbeigefahren sind?«, fragte George.
»Aye«, sagte Billy. »Die Isle of Wight.«
»Ach so«, sagte George. »Ich dachte, das wär Frankreich.«
Die Reise endete am kommenden frühen Morgen in Le Havre, wo sie von Bord gingen. Billy trat von der Gangway und setzte zum ersten Mal im Leben den Fuß auf fremdes Land. Genau genommen war es kein Land, sondern Pflastersteine, auf denen man in den genagelten Soldatenschuhen nur schlecht marschieren konnte. Die Männer zogen durch die Stadt, beobachtet von einer teilnahmslosen französischen Bevölkerung. Billy hatte Geschichten von hübschen jungen Französinnen gehört, die den eintreffenden Briten um den Hals fielen, doch hier sah er nur apathische Frauen mittleren Alters mit Kopftüchern.
Sie marschierten zu einem Lager, wo sie die Nacht verbrachten. Am nächsten Morgen stiegen sie in den Zug. Im Ausland zu sein war weniger aufregend, als Billy sich erhofft hatte. Alles wirkte zwar anders, aber nicht sehr. Wie England bestand auch Frankreich vor allem aus Feldern und Dörfern, Straßen und Bahngleisen. Die Felder wurden meist nicht von Hecken, sondern von Zäunen eingefriedet, und die Bauernhäuser waren größer und solider, aber damit hatte es sich auch schon. Die neugierige Erwartung, die Billy erfüllt hatte, verpuffte rasch.
Am Abend erreichten sie ihre Quartiere in einem großen neuen Militärlager aus provisorisch errichteten Unterkünften.
Billy war zum Corporal ernannt worden und führte nun einen acht Mann starken Trupp, zu dem Tommy, der junge Owen Bevin sowie George Barrow aus der Besserungsanstalt gehörten. Außerdem war der rätselhafte Robin Mortimer dabei, der nur Private war, ein einfacher Soldat, obwohl er mindestens dreißig zu sein schien. Allerdings hatte er die Zusatzausbildung zum »Bomber« erhalten, zum Handgranatenwerfer, und wenn sie in den Einsatz gingen, würde er an seinem speziellen Gurtzeug zehn »Mills-Bomben« mit sich führen, fast ein Kilo schwere Handgranaten. Als sie mit gut tausend Mann in der großen Kantine bei Brot und Marmelade saßen, sprach Billy ihn an. »Sag mal, Robin, wir sind hier alle neu, aber du scheinst mehr Erfahrung zu haben. Was hast du denn so erlebt?«
Mortimer antwortete in der dialektbehafteten Redeweise des gebildeten Walisers, benutzte jedoch die Sprache der Gosse. »Das geht dich ’n Scheißdreck an, Taffy«, sagte er, stand auf und setzte sich an einen anderen Platz.
Billy zuckte mit den Schultern. »Taffy« war keine allzu schlimme Beleidigung, zumal sie von einem anderen Waliser kam, denn es war die umgangssprachliche Bezeichnung für jemanden, der aus Wales stammte.
Vier Gruppen bildeten einen Zug. Billys Sergeant war Elijah Jones, zwanzig Jahre alt, der Sohn von John Jones the Shop. Er galt als Veteran, weil er schon ein ganzes Jahr an der Front diente. Jones gehörte der Bethesda-Kapelle an, und Billy kannte ihn seit der Schule, wo er wegen seines alttestamentarischen Namens »Prophet« Jones genannt worden war.
Prophet hatte das kurze Gespräch mit Mortimer gehört. »Dem stoß ich Bescheid, Billy«, sagte er. »Der ist ein hochnäsiger alter Mistkerl. So kann er mit seinem Gruppenführer nicht reden!«
»Warum ist er so?«
»Er war früher Major. Ich weiß nicht, was er verbrochen hat, aber er kam vors Kriegsgericht und hat sein Offizierspatent verloren. Und weil er kriegsdiensttauglich war, haben sie ihn sofort als Private wieder eingezogen. Das machen sie mit allen Offizieren, die sich was zuschulden kommen lassen.«
Nach dem Tee lernten sie ihren Zugführer kennen, Second Lieutenant James Carlton-Smith, der im gleichen Alter war wie Billy. Er war steif und verlegen und schien viel zu jung zu sein, um über irgendjemanden das
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