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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und zum Stöhnen gebracht hatte er sie ganz bestimmt nicht. Little Dai Chops, der Sohn des Fleischers, hatte ihr im Kino von Cardiff mal die Hand unter den Rock gesteckt, aber sie hatte sie nach ein paar Sekunden weggeschoben. Ein bisschen verknallt gewesen war sie in Llewellyn Davies, den Sohn eines Schullehrers, der viel über die liberale Regierung gesprochen und ihr gesagt hatte, sie habe Brüste wie warme Vogeljunge in einem Nest; doch Llewellyn war aufs College gegangen und hatte ihr nie geschrieben. Bei jedem dieser jungen Männer war Ethel neugierig gewesen – und vor allem auf mehr gespannt –, aber nie war es so leidenschaftlich geworden wie bei Maud. Ethel beneidete sie.
    Plötzlich winselte Gelert und drehte sich im Kreis, den Schwanz zwischen den Beinen.
    Im nächsten Moment spürte Ethel, wie die Erde zitterte, als würde ein Expresszug vorbeidonnern, doch das Eisenbahngleis endete in einer Meile Entfernung.
    Maud öffnete die Augen, sah Ethel und löste sich von Walter. Sie runzelte die Stirn und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als sie alle einen Knall hörten, so laut wie ein Donnerschlag.
    »Was war das, um Himmels willen?«, fragte Maud.
    Ethel wusste es.
    Sie schrie auf und rannte los.

    Billy Williams und Tommy Griffiths butterten.
    Sie arbeiteten in einem Flöz, der Four Foot Coal hieß, nur sechshundert Yards tief, längst nicht so weit unten wie die Hauptsohle. Das Flöz war in fünf Abschnitte unterteilt, jedes nach einer britischen Rennbahn benannt; die beiden Freunde arbeiteten im Ascot – jenem Abschnitt, der dem Schacht Pyramus am nächsten lag. Beide arbeiteten als Schlepper, als Helfer für ältere Bergleute. Der Hauer schlug mit seiner Keilhaue, einer Hacke mit geradem Blatt, die Kohle vom Flöz ab, und sein Schlepper schaufelte sie in einen Hunt. Wie immer hatten sie um sechs Uhr morgens angefangen; jetzt, zwei Stunden später, machten sie die erste Pause. Den Rücken an die Streckenwand gelehnt, saßen sie auf dem feuchten Boden, ließen sich vom sanften Hauch der Bewetterung kühlen und tranken lauwarmen Tee aus ihren Blechflaschen.
    Tommy und Billy waren 1898 geboren, beide am gleichen Tag. In nur sechs Monaten wurden sie sechzehn. Die Unterschiede in ihrer körperlichen Entwicklung, die Billy mit dreizehn noch so verlegen gemacht hatten, waren verschwunden. Nun waren sie junge Männer mit breiten Schultern und starken Armen, und sie rasierten sich einmal die Woche, ob es nötig war oder nicht. Sie trugen nur Unterhosen und Schuhe, und beide waren schwarz von Schweiß und Kohlenstaub. Im trüben Lampenlicht schimmerten ihre Körper wie Ebenholzstatuen heidnischer Götter. Nur ihre Lederkappen machten diesen Eindruck zunichte.
    Die Arbeit war schwer, aber sie kannten es nicht anders. Sie beklagten sich noch nicht über Rückenschmerzen und steife Gelenke wie die älteren Kumpel; sie hatten Energie im Überschuss. Sogar an freien Tagen suchten sie sich ähnlich anstrengende Beschäftigungen und spielten Rugby, gruben Blumenbeete um oder boxten mit bloßen Fäusten im Schuppen hinter dem Two Crowns.
    Billy hatte die Mutprobe, der Rhys Price ihn vor drei Jahren unterzogen hatte, noch nicht vergessen – im Gegenteil. Immer wenn er daran dachte, loderte Zorn in ihm auf. Er hatte sich geschworen, die Neuen niemals schlecht zu behandeln. Erst heute hatte er bei der Seilfahrt den kleinen Bert Morgan gewarnt: »Du musst darauf gefasst sein, dass die anderen dir einen Streich spielen. Vielleicht lassen sie dich ’ne Stunde lang im Dunkeln alleine, oder irgend so ein Blödsinn. Kleine Siege freuen kleine Geister.« Die älteren Männer im Korb hatten Billy angefunkelt, doch er hatte ihre Blicke fest erwidert: Er wusste, dass er recht hatte, und sie wussten es auch.
    Mam war damals, vor drei Jahren, noch wütender gewesen als Billy. Sie baute sich mitten in der Stube vor Dah auf, die Hände in die Hüften gestemmt, und fuhr ihn mit blitzenden Augen an: »Sag mir, wie es dem Willen Gottes dienen kann, wenn man kleine Jungen quält?«
    »Das verstehst du nicht, du bist eine Frau«, hatte Dah erwidert – eine für seine Verhältnisse ungewöhnlich lahme Antwort.
    Billy war der Ansicht, die Welt im Allgemeinen und die Zeche von Aberowen im Besonderen wären besser dran, würden alle Menschen ein gottesfürchtiges Leben führen. Tommy, dessen Vater Atheist und Schüler von Karl Marx war, vertrat die Meinung, der Kapitalismus würde sich bald selbst vernichten und dass es dazu nur ein

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