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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ist ja egal. Ich sag dir, was du tun musst. Hörst du mir zu, Spotty?«
    »Ja.« Die Stimme war jetzt kräftiger.
    »Zuerst schickst du wen zur Methodistenkirche und lässt Dai Crybaby ausrichten, er soll die Grubenwehr zusammenrufen.«
    »Mach ich.«
    »Dann rufst du das Hospital an und sagst, sie sollen einen Krankenwagen zur Hängebank schicken.«
    »Ist jemand verletzt?«
    »Bestimmt, nach so einem Knall. Und hol alle Leute vom Leseband. Sie sollen mit Wasserschläuchen kommen.«
    »Wasserschläuche?«
    »Der Staub tut noch brennen. Und ruf die Polizei an. Sag Geraint, es hat ’ne Explosion gegeben. Er wird dann Cardiff verständigen.« Mehr fiel Billy nicht ein. »Alles klar?«
    »Alles klar.«
    Billy hängte den Hörer in den Haken. »Auf der Hauptsohle gibt’s bestimmt Verletzte«, sagte er zu Dai Chops und Tommy. »Wir müssen da runter.«
    »Können wir nicht«, sagte Dai. »Der Korb ist nicht da.«
    »Aber im Schacht ist doch ’ne Leiter, oder?«
    »Das sind zweihundert Yards bis dahin!«
    »Wäre ich ein Waschlappen, wäre ich kein Bergmann.« Trotz seiner tapferen Worte hatte Billy Angst. Die Schachtleiter wurde selten benutzt, und niemand wusste, in welchem Zustand sie war. Wenn er abrutschte oder auf eine gebrochene Sprosse trat, konnte er in den Tod stürzen.
    Dai öffnete das Gatter. Es rasselte und klirrte. Der Schacht war mit Ziegeln ausgekleidet, die feucht und schimmlig waren. Ein schmaler Sims verlief auf der Auskleidung außerhalb der hölzernen Fahrkorbführung. Klammern, in das Mauerwerk eingegossen, hielten eine Eisenleiter, die mit ihren dünnen Holmen und Sprossen wenig vertrauenerweckend aussah. Billy zögerte. Er bereute jetzt schon, den starken Mann markiert zu haben. Aber nun gab es kein Zurück mehr; er wäre blamiert gewesen. Er holte tief Luft, sprach ein stilles Gebet und trat auf den Sims.
    Vorsichtig schob er sich bis zur Leiter voran. Er wischte sich die Hände an der Hose ab, packte die Holme, setzte den Fuß auf die erste Sprosse und stieg langsam hinunter. Das Eisen fühlte sich rau an, und unter seinen Händen lösten sich Rostflocken. An manchen Stellen waren die Klammern locker; dort rutschte und schwankte die Leiter, dass Billy der Angstschweiß ausbrach. Die Grubenlampe, die er sich an den Gürtel gehakt hatte, war hell genug, um die Sprossen unter ihm zu beleuchten, das Ende des Schachts aber zeigte sie ihm nicht. Vielleicht war es besser so.
    Zu Billys Unglück ließ der Abstieg ihm Zeit zum Grübeln. Ihm fielen die zahllosen Möglichkeiten ein, wie man als Bergmann den Tod finden konnte. Von der Explosion getötet zu werden war ein gnädig schnelles Ende für die Glücklicheren. Andere erstickten, denn bei der Verbrennung des Grubengases entstand Kohlendioxyd, das man »Nachschwaden« nannte und das tödlich sein konnte. Wieder andere Kumpel waren von fallendem Berg erschlagen oder eingeschlossen worden und verblutet, ehe die Retter zu ihnen vorstießen. Manche waren verdurstet, während ihre Kumpel nur wenige Yards entfernt versucht hatten, sich einen Weg durch den Schutt zu bahnen.
    Am liebsten wäre Billy nach oben in die Sicherheit geflohen, statt nach unten zu klettern, wo ihn wahrscheinlich Tod, Zerstörung und Chaos erwarteten.
    »Bist du noch da, Tommy?«, rief er.
    Tommys Stimme ertönte direkt über seinem Kopf. »Ja!«
    Die Antwort stärkte Billys Mut. Er stieg schneller ab; sein Selbstvertrauen kehrte zurück. Bald sah er Licht, und wenig später hörte er ferne Stimmen. Rauch stieg ihm in die Nase.
    Mit einem Mal war ein gespenstischer Lärm um ihn, ein schreckliches Schreien, Hämmern und Schrillen wie aus dem Fegefeuer, ein Getöse, aus dem Billy nicht schlau wurde und das ihm den Mut zu rauben drohte. Dann begriff er, dass er das panische Wiehern der Ponys hörte, die mit den Hufen gegen die Wände ihrer hölzernen Ställchen traten, aus denen sie vergeblich zu entkommen suchten. Doch das Begreifen nahm dem Getöse nichts von seiner Schrecklichkeit. Billy empfand genauso wie die armen Tiere.
    Er erreichte die Hauptsohle, schob sich auf dem gemauerten Sims zur Seite, öffnete das Gatter von innen und gelangte auf den schlammigen Boden. Das trübe Licht unter Tage wurde durch Rauch noch mehr gedämpft, doch Billy konnte immerhin die Hauptstrecken erkennen.
    Der Anschläger am Schachtende war Patrick O’Connor, ein Mann in mittleren Jahren, der bei einem Bergbruch eine Hand verloren hatte. Er war Katholik und wurde deshalb – wie konnte es anders sein

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