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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Maud ihr noch erweisen sollte, und Ethel hatte das ältere Mädchen immer bewundert.
    Nun ging sie zu Mauds Zimmer, klopfte an und trat ein. Die Gardeniensuite zeichnete sich durch kunstvolle Blumentapeten aus, die in einem Stil gehalten waren, der um die Jahrhundertwende aus der Mode gekommen war. Vom Erkerfenster hatte man einen Blick auf den bezauberndsten Teil von Fitz’ Garten, den Westweg, einen langen geraden Pfad, der durch Blumenbeete zu einem Sommerhaus führte.
    Maud zog sich gerade Schuhe an, wie Ethel mit ungutem Gefühl beobachtete. »Ich gehe spazieren und brauche Sie als Anstandsdame«, sagte Maud. »Helfen Sie mir mit meinem Hut, und erzählen Sie mir den neuesten Klatsch.«
    Ethel fehlte die Zeit, aber so lästig es ihr war, so neugierig war sie auch. Mit wem würde Maud spazieren gehen? Wo war Tante Herm, ihre Anstandsdame? Und warum setzte sie den schönen Hut auf, wenn sie nur in den Garten wollte? Ob da ein Mann im Spiel war?
    Während sie den Hut an Mauds dunklem Haar feststeckte, raunte Ethel: »Heute Morgen gab es unter den Bediensteten einen kleinen Skandal!« Maud sammelte Klatsch wie der König Briefmarken. »Morrison ist erst um vier Uhr morgens ins Bett gegangen! Er ist einer der Diener – groß, mit blondem Schnurrbart.«
    »Ich kenne Morrison. Und ich weiß, wo er die Nacht verbracht hat …« Maud zögerte.
    Ethel wartete einen Augenblick; dann fragte sie: »Wollen Sie es mir nicht sagen?«
    »Sie wären schockiert.«
    Ethel grinste. »Umso besser.«
    »Er hat die Nacht mit Robert von Ulrich verbracht.« Maud warf einen Blick auf Ethels Abbild im Spiegel der Frisierkommode. »Sind Sie jetzt geschockt?«
    Ethel war fasziniert. »Also wirklich, das hätte ich nie gedacht! Ich wusste, dass Morrison nicht gerade ein Weiberheld ist, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass er … so einer sein könnte, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Na, Robert ist mit Sicherheit so einer . Beim Abendessen habe ich mehrmals beobachtet, wie er Blickkontakt zu Morrison gesucht hat.«
    »Mein Gott, und das vor dem König! Woher wissen Sie das über Robert eigentlich?«
    »Walter hat es mir erzählt.«
    »Wie kann ein Gentleman mit einer Dame über solche Dinge reden! Sie erfahren aber auch wirklich alles. Was erzählt man denn so in London?«
    »Mr. Lloyd George ist in aller Munde.«
    David Lloyd George war der Schatzkanzler der Regierung Asquith, der Finanzminister Großbritanniens. Er stammte aus Wales und war ein feuriger Redner, der dem linken Flügel angehörte. Ethels Dah sagte oft, Lloyd George sollte eigentlich der Labour Party angehören. Während des Bergarbeiterstreiks von 1912 hatte er sogar davon gesprochen, die britischen Bergwerke zu verstaatlichen. »Was sagt man denn über ihn?«, fragte Ethel.
    »Dass er eine Mätresse hat.«
    »Nein!« Diesmal war Ethel ehrlich schockiert. »Aber er ist doch als Baptist erzogen worden!«
    Maud lachte. »Wäre es weniger ungeheuerlich, wenn er Anglikaner wäre?«
    »Aber ja!« Ethel verkniff sich, ein selbstverständlich hinzuzufügen. »Wer ist sie?«
    »Frances Stevenson. Sie ist als Gouvernante seiner Tochter ins Haus gekommen – eine kluge Frau mit einem Abschluss in klassischer Altertumskunde. Jetzt ist sie seine Privatsekretärin.«
    »Skandalös!«
    »Er nennt sie Pussy.«
    Ethel wäre beinahe errötet. Sie wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. Maud erhob sich, und Ethel half ihr in den Mantel. Sie fragte: »Was ist denn mit seiner Frau Margaret?«
    »Sie ist mit den vier Kindern hier in Wales.«
    »Es waren fünf, aber eins ist gestorben. Die arme Frau.«
    Maud war nun zum Aufbruch bereit. Die beiden Frauen stiegen die große Treppe hinunter. In der Halle wartete Walter von Ulrich in einem langen dunklen Mantel. Er hatte einen kleinen Schnurrbart und funkelnde blaue Augen. Auf zugeknöpft deutsche Art wirkte er sehr flott, fand Ethel; die Sorte Mann, die sich verbeugte, die Hacken zusammenknallte und einem dann zuzwinkerte. Deshalb also wollte Maud nicht Lady Herm als Anstandsdame.
    »Williams hat hier angefangen, als ich noch ein junges Mädchen war«, sagte Maud zu Walter. »Seitdem sind wir Freundinnen.«
    Ethel mochte Maud, aber die Behauptung, sie wären Freundinnen, ging ihr ein wenig zu weit. Maud war freundlich, und Ethel bewunderte sie; trotzdem blieben sie Herrin und Dienerin. Wahrscheinlich hatte Maud mit ihrer Bemerkung sagen wollen, dass man Ethel vertrauen konnte.
    Walter wandte sich mit jener ausgesuchten

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