Sturz der Titanen
Kopf. Er fragte sich, ob er beten sollte.
Um vier Uhr vierzig stieg eine weiße Leuchtrakete zum Himmel. Einen Augenblick später feuerte ein leichtes Geschütz nicht weit von Walter entfernt. Der Knall war so laut, dass er zurücktaumelte. Und dann brach die Hölle los. Binnen Sekunden feuerte die gesamte deutsche Artillerie. Der Lärm war unbeschreiblich. Die Mündungsfeuer rissen die Gesichter der Bedienmannschaften aus der Dunkelheit, während sie eine Granate nach der anderen vorbereiteten. Rauch erfüllte die Luft, und Walter versuchte, nur noch durch die Nase zu atmen. Die Erde bebte.
Kurz darauf sah Walter Explosionen und Flammen auf der britischen Seite, als die deutschen Geschosse Munitionslager und Kraftstofftanks in die Luft jagten. Er wusste, wie es war, unter Artilleriefeuer zu liegen, und ihm taten die Tommys leid. Er hoffte nur, dass Fitz nicht da drüben war.
Die Geschütze wurden so heiß, dass jeder, der dumm genug war, sie versehentlich anzufassen, sich die Haut verbrannte. Doch unter der Hitze verzogen sich die Läufe, und die Bedienmannschaften warfen nasse Säcke auf die Rohre, um sie abzukühlen. Walters Männer meldeten sich freiwillig, um Wasser aus Granattrichtern zu schöpfen und zu den Geschützstellungen zu bringen. Die Infanterie half der Artillerie vor einem Angriff nur zu gerne, denn jeder Feindsoldat, den die Artillerie ausschaltete, war für die später vorrückenden Infanteristen ein Gegner weniger.
Mit Tagesanbruch kam Nebel auf. In der Nähe der Geschütze zerriss das Mündungsfeuer den Dunst, doch in der Ferne war nichts mehr zu sehen. Walter machte sich Sorgen. Die Artilleristen mussten »nach Karte« zielen. Zum Glück verfügten die Deutschen über detaillierte Pläne der britischen Stellungen, denn vor einem Jahr hatten sie selbst noch dort gelegen. Allerdings war das kein Ersatz für Artilleriebeobachter. Es war ein schlechter Anfang.
Der Nebel vermischte sich mit dem Rauch der Geschütze. Walter band sich ein Taschentuch um Nase und Mund. Die Briten feuerten nicht zurück, jedenfalls nicht in diesem Abschnitt. Walter fühlte sich davon ermutigt. Vielleicht war die britische Artillerie bereits vernichtet. Der einzige Deutsche, der in Walters Nähe getötet worden war, war ein Artillerist, dessen Mörser einen Rohrkrepierer gehabt hatte. Sanitäter schafften die zerfetzte Leiche weg und kümmerten sich um die Verwundeten.
Um neun Uhr morgens schickte Walter seine Männer in die Ausgangsstellungen. Die Sturmsoldaten legten sich hinter die Geschütze; die reguläre Infanterie stand in ihren Gräben. Hinter ihnen warteten die Sanitäter, die Fernmelder, die Kuriere und andere Unterstützungstruppen.
Die Sturmsoldaten waren mit dem Mauser-Karabiner K98 bewaffnet. Dessen kurzer Lauf war zwar auf größere Entfernung ungenau, aber nicht so unhandlich wie die alten Gewehre. Außerdem trug jeder Mann einen Beutel mit einem Dutzend Stielhandgranaten. Die Tommys nannten sie »Kartoffelstampfer«, wie Walter von britischen Gefangenen erfahren hatte.
Walter setzte seine Gasmaske auf und winkte den Männern, seinem Beispiel zu folgen, damit sie nicht von ihrem eigenen Gas erledigt wurden, sobald sie die andere Seite erreichten. Dann, um neun Uhr dreißig, stand er auf, warf sich das Gewehr über den Rücken und packte mit jeder Hand je eine Stielhandgranate. Er konnte keine Befehle rufen, da ihn ohnehin niemand hören würde; also gestikulierte er mit dem Arm und rannte los.
Seine Männer folgten ihm ins Niemandsland.
Der Boden war fest und trocken. Seit Wochen hatte es keine größeren Niederschläge mehr gegeben. Das war gut für die Angreifer und ihre Fahrzeuge.
Sie rannten geduckt. Die deutschen Geschütze feuerten über ihre Köpfe hinweg. Walters Männer wussten um die Gefahr, von den eigenen Granaten getroffen zu werden, besonders in diesem Nebel, wo die Artilleristen nicht auf Sicht zielen konnten. Aber es war das Risiko wert. Auf diese Art würden sie dicht an den feindlichen Gräben sein, wenn das Feuer endete, sodass die Briten keine Gelegenheit mehr hatten, nach dem Beschuss ihre Maschinengewehre in Stellung zu bringen.
Während sie über das Niemandsland stürmten, hoffte Walter darauf, dass das Artilleriefeuer die feindlichen Stacheldrahtverhaue zerstörte. Falls nicht, würden seine Männer haltmachen und den Draht zerschneiden müssen.
Rechts von ihm explodierte irgendetwas, und Walter hörte einen schrillen Schrei. Einen Augenblick später bemerkte er ein
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