Sturz der Titanen
sich raunend miteinander.
Nach einer weiteren Stunde blies der Gefreite Grünwald die Trillerpfeife.
»Achtung!«, rief Otto von Ulrich. »Er kommt!«
Eine Kakophonie von Befehlen erklang. Rasch nahmen die Männer Haltung an. Dann fuhr eine Motorradkolonne auf den Platz.
Die Tür eines gepanzerten Wagens ging auf, und ein Mann in Generalsuniform stieg aus. Allerdings war es nicht der kahlköpfige, streng dreinblickende, zackige Ludendorff. Dieser Besucher bewegte sich langsamer und hatte die linke Hand in die Tasche gesteckt, als wäre der Arm verletzt.
Es dauerte einen Moment, dann erkannte Walter, dass es der Kaiser höchstpersönlich war.
Generalmajor Schwarzkopf trat auf den Herrscher zu und salutierte.
Als auch den Männern klar wurde, wer da gekommen war, durchlief ein Raunen die Reihen, das rasch zu lautem Jubel anschwoll. Generalmajor Schwarzkopf schaute angesichts dieser Disziplinlosigkeit zuerst erschrocken, dann mürrisch drein, doch der Kaiser lächelte. Er stieg die behelfsmäßige Treppe hinauf, stellte sich auf den Lastwagen und ließ sich feiern. Als der Jubel verebbt war, ergriff er das Wort. »Deutsche Soldaten!«, sagte er. »Dies ist die Stunde unseres Sieges!«
Wieder brandete Jubel auf, und diesmal jubelte Walter mit.
Um ein Uhr morgens am 21. März, einem Donnerstag, wurde die Brigade in ihre Bereitschaftsräume für den bevorstehenden Angriff verbracht. Walter und die Offiziere seines Bataillons saßen in einem Unterstand im vordersten Graben. Sie plauderten und scherzten, um die Spannung zu lösen.
Gottfried von Kessel erläuterte Ludendorffs Strategie. »Der Vorstoß wird einen Keil zwischen Briten und Franzosen treiben«, sagte er mit dem gleichen überheblichen Selbstvertrauen, das er schon in der deutschen Botschaft in London an den Tag gelegt hatte. »Dann werden wir uns nach Norden wenden, die rechte Flanke der Briten aufrollen und sie in den Ärmelkanal treiben.«
»Nein, nein«, widersprach Leutnant von Braun, einer der älteren Offiziere. »Nach dem Durchbruch wäre es das Klügste, direkt bis zur Atlantikküste vorzustoßen. Stellen Sie sich vor: Eine deutsche Front, die sich quer durch Frankreich zieht und die französische Armee von ihren Verbündeten trennt.«
Von Kessel protestierte: »Aber dann stünde der Feind nördlich und südlich von uns!«
Ein dritter Offizier, Hauptmann Kellermann, meldete sich zu Wort. »Ludendorff wird sich nach Süden wenden«, sagte er voraus. »Wir müssen Paris einnehmen. Darauf kommt es an.«
»Paris ist bloß ein Symbol«, erklärte von Kessel verächtlich.
Natürlich war das alles reine Spekulation; niemand hier kannte die wahren Pläne der Obersten Heeresleitung. Und Walter war viel zu angespannt, als dass er den sinnlosen Gesprächen hätte zuhören können; also ging er nach draußen. Die Soldaten hockten auf dem Boden. Sie waren seltsam ruhig: Die Stunden vor einer Schlacht dienten den meisten der Selbstbesinnung, bei vielen Männern auch dem Gebet. Gestern Abend hatte es Rindfleisch in der Gerstensuppe gegeben, eine Seltenheit. Die Moral war gut. Alle hatten das Gefühl, dass das Ende des Krieges unmittelbar bevorstand.
Es war eine klare, sternenhelle Nacht. Feldküchen verteilten das Frühstück: Schwarzbrot und dünnen Kaffee, der nach Rüben schmeckte. Der leichte Regen hatte aufgehört, und der Wind war nahezu vollständig abgeflaut. Das bedeutete, dass Giftgasgranaten eingesetzt werden konnten. Beide Seiten setzten Gas ein, doch Walter hatte gehört, dass die Deutschen diesmal eine neue Mischung an die Front bringen wollten: Phosgen und Tränengas. Das Tränengas war zwar nicht tödlich, konnte aber die Standardgasmasken der Briten durchdringen. Das Ziel war, die britischen Soldaten durch das Tränengas zu zwingen, die Masken abzunehmen, sodass sie das tödliche Phosgen einatmeten.
An der gesamten Frontlinie hatte man Geschütze aufgefahren, schwere und leichte. Walter hatte noch nie so viel Artillerie gesehen. Die Mannschaften stapelten Munition. Hinter ihnen warteten bereits weitere Geschütze, aufgeprotzt und die Pferde eingespannt, um in die Bresche nachzurücken.
Um halb fünf wurde es vollkommen still. Die Feldküchen waren verschwunden; die Geschützbedienungen saßen auf dem Boden und warteten, und die Offiziere standen in den Gräben und schauten über das Niemandsland hinweg zu den schlafenden Briten. Selbst die Pferde wurden still.
Das ist unsere letzte Chance auf einen Sieg, ging es Walter durch den
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