Sturz der Titanen
etwas über seinen Fuß lief. Ein Hase verschwand im Nebel. Zweifellos hatte die Artillerie seinen Bau zerstört.
Walter schaute auf seinen Kompass, um sicherzugehen, dass sie noch immer nach Westen liefen. Er wusste nicht, was für eine Art von Gräben sie hier überquerten – Versorgungs- oder Laufgräben –, deshalb verriet ihm deren Ausrichtung nicht viel.
Walter wusste, dass die Briten dem deutschen Beispiel gefolgt waren und mehrere Grabenlinien errichtet hatten. Nachdem Walter und seine Leute die erste dieser Linien überquert hatten, rechnete er damit, nun bald auf einen schwer verteidigten Graben zu stoßen, den man die »Rote Linie« nannte. Dann wartete gut einen Kilometer entfernt die »Braune Linie« – vorausgesetzt natürlich, sie durchbrachen die »Rote«. Dahinter lag dann freies Gelände bis zur Atlantikküste.
Granaten schlugen im Nebel vor ihnen ein. Das konnten doch nicht die Briten sein? Falls ja, würden sie auf ihre eigenen Stellungen feuern. Nein, das konnte nur die deutsche Artillerie sein. Walter und seine Männer liefen Gefahr, in die eigene Feuerwalze hineinzulaufen! Er drehte sich um. Zum Glück waren die meisten seiner Leute hinter ihm. Er winkte mit beiden Armen. »Deckung!«, rief er. »Gebt das weiter! Deckung!«
Doch die Männer brauchten den Befehl nicht; sie waren bereits zu dem gleichen Schluss gekommen und sprangen in leere Gräben.
Walter war zufrieden. Bis jetzt lief alles gut.
Drei britische Soldaten lagen in dem Graben. Zwei rührten sich nicht mehr, einer stöhnte jämmerlich. Wo waren die restlichen Tommys? Vielleicht waren sie geflohen, und diese drei hier waren ein Himmelfahrtskommando, das eine nicht zu haltende Position verteidigen sollte, um ihren Kameraden die Gelegenheit zum Rückzug zu geben.
Einer der toten Briten war ein ungewöhnlich großer Mann mit riesigen Händen und Füßen. Der hünenhafte Grünwald zog dem Gefallenen sofort die Stiefel aus. »Genau meine Größe«, sagte er zu Walter. Walter brachte es nicht über sich, dem Gefreiten Einhalt zu gebieten – Grünwalds Stiefel waren voller Löcher.
Walter setzte sich, um wieder zu Atem zu kommen, und ging in Gedanken noch einmal die erste Angriffsphase durch. Es hätte gar nicht besser laufen können.
Nach einer Stunde verstummten die deutschen Geschütze erneut. Walter rief seine Männer zusammen und rückte weiter vor.
Auf halbem Weg einen langen Hang hinauf hörte er Stimmen. Er hob die Hand, um die Männer in seiner Nähe zum Stehen zu bringen. Vor ihm sagte jemand auf Englisch: »Ich kann in dieser Nebelsuppe keinen verdammten Scheißdreck sehen!«
Der Akzent hatte für Walter etwas seltsam Vertrautes. War das Australisch? Eine andere Stimme erwiderte im gleichen Akzent: »Wenn sie dich nicht sehen tun, dann können sie dir auch kein Loch in deinen dämlichen Schädel pusten.«
Plötzlich fühlte Walter sich ins Jahr 1914 zurückversetzt, in Fitz’ Herrenhaus in Wales. So hatten die Diener dort gesprochen.
Die Männer vor ihm waren Waliser.
Und über ihnen klarte der Himmel ein wenig auf.
Sergeant Billy Williams spähte in den Nebel. Der Artilleriebeschuss hatte zum Glück aufgehört; andererseits hieß das, dass die Deutschen kamen.
Was sollte er jetzt tun?
Er hatte keine Befehle. Den Lieutenant hatte er gestern Morgen das letzte Mal gesehen. Billys Zug besetzte eine Redoute, eine Verteidigungsstellung auf einer Anhöhe nahe hinter der Kampflinie. Bei normalem Wetter hatte man von dort aus einen weiten Blick über einen langen, sanft abfallenden Hang hinunter zu mehreren Schutthaufen, die einst die Gebäude eines Bauernhofs gewesen sein mussten. Laufgräben verbanden sie mit anderen Redouten, die im Moment nicht zu sehen waren. Befehle kamen gewöhnlich von hinten, aber heute war nichts eingetroffen. Das Feldtelefon war tot, die Leitung vermutlich von der Artillerie zerfetzt.
Die Männer saßen oder standen im Schützengraben. Nachdem das Trommelfeuer aufgehört hatte, waren sie aus ihrem Unterstand gekommen. Manchmal schickte die Feldküche am Vormittag einen Karren mit einem großen Spender voll heißem Tee durch die Gräben, aber es sah nicht danach aus, als würden Billy und seine Leute heute eine solche Erfrischung bekommen. Zum Frühstück hatten sie ihre eisernen Rationen verspeist.
Der Zug besaß ein leichtes amerikanisches Lewis-Maschinengewehr, das auf der Rückwand des Grabens über dem Unterstand in Stellung war und von dem neunzehnjährigen George Barrow bedient
Weitere Kostenlose Bücher