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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wurde, dem Jungen aus der Besserungsanstalt, einem guten Soldaten, dessen Bildung jedoch so lückenhaft war, dass er glaubte, zuletzt wäre England von Norman dem Eroberer besiegt worden. George saß hinter seinem MG , durch den stählernen Verschluss der Waffe vor verirrten Kugeln geschützt, und rauchte eine Pfeife.
    Sie hatten außerdem einen Stokes-Mörser, der eine drei Zoll durchmessende Granate bis zu achthundert Yards weit schleuderte. Corporal Johnny Ponti, der Bruder von Joey Ponti, der an der Somme gefallen war, hatte eine tödliche Vertrautheit mit dieser Steilfeuerwaffe entwickelt.
    Billy kletterte zum Maschinengewehrstand hoch und stellte sich neben George Barrow, konnte aber trotzdem nicht weiter sehen.
    »Sag mal, Billy«, fragte George, »haben andere Länder auch Empires wie wir?«
    »Ja«, antwortete Billy. »Die Franzosen haben fast ganz Nordafrika, die Holländer haben Ostindien, die Deutschen Südwestafrika.«
    »Oh«, sagte George ernüchtert. »Ich hatte davon gehört, aber ich dachte immer, das wär bloß ’n Gerücht.«
    »Wieso?«
    »Na, hör mal! Welches Recht haben die denn, über andere Leute zu herrschen?«
    »Und welches Recht haben wir, über Nigeria, Jamaika und Indien zu herrschen?«
    »Wir sind schließlich Briten!«
    Billy nickte. George, der offenbar nie einen Atlas zu Gesicht bekommen hatte, fühlte sich allein schon dank seiner Volkszugehörigkeit einem Descartes, einem Rembrandt und einem Beethoven überlegen. Und damit stand er keineswegs allein: In der Schule war immer nur von britischen Siegen die Rede gewesen, nicht aber von Niederlagen, von der Demokratie in London, nicht aber von der Tyrannei in Kairo, von der britischen Gerechtigkeit, nicht aber vom Auspeitschen in Australien, dem Hunger in Irland oder den Massakern in Indien, von Katholiken, die Protestanten schreckliche Dinge angetan hatten, nicht aber vom umgekehrten Fall. Nur wenige dieser Jungen hatten einen Vater wie Billy gehabt, der ihnen gesagt hatte, dass die Welt so manchen Schullehrers ein Hirngespinst war.
    Heute aber fehlte Billy die Zeit, George Barrow Nachhilfe in Geschichte zu erteilen. Er hatte ganz andere Sorgen.
    Der Himmel wurde heller, und der Nebel lichtete sich leicht, um sich dann von einem Moment auf den anderen ganz zu verziehen. George rief: »Verfluchter Mist!« Im nächsten Moment sah Billy, was ihn so erschreckt hatte: Eine Viertelmeile entfernt kamen mehrere Hundert deutsche Soldaten den Hang zu ihnen herauf.
    Billy sprang in den Schützengraben. Mehrere seiner Männer hatten den Feind nun ebenfalls entdeckt; ihre überraschten Rufe alarmierten alle anderen. Billy blickte durch den Sehschlitz in der Stahlplatte, die in die Schulterwehr eingelassen war: Die Deutschen rückten immer schneller vor. Es dauerte nicht lange, und überall am Graben war knatterndes Gewehrfeuer zu hören. Die vorderste Linie der Deutschen lichtete sich. Der Rest warf sich auf den Boden und suchte Deckung in Granattrichtern und den wenigen verkümmerten Büschen.
    Über Billys Kopf hinweg eröffnete das Lewis- MG das Feuer; es hörte sich an wie ein Dutzend Rasseln ausgelassener Fußballfans. Die Deutschen erwiderten das Feuer, schienen aber keine Maschinengewehre oder Minenwerfer dabeizuhaben, wie Billy dankbar feststellte. Er hörte einen seiner Männer aufschreien. Offenbar hatte ein scharfäugiger Deutscher jemanden entdeckt, der eine Sekunde zu lang über die Schulterwehr gespäht hatte, oder – was wahrscheinlicher war – ein glücklicher deutscher Schütze hatte einen glücklosen britischen Kopf getroffen.
    Tommy Griffiths erschien neben Billy. »Dai Powell hat’s erwischt!«, stieß er keuchend hervor.
»Verwundet?«
    »Tot. Kopfschuss.«
    »Verdammter Mist«, fluchte Billy. Mrs. Powell war eine begeisterte Strickerin, die ihrem Sohn ständig Pullover nach Frankreich schickte. Für wen würde sie jetzt die Nadeln schwingen?
    »Ich hab ihm seine Sammlung aus der Tasche gezogen«, sagte Tommy. Dai hatte einen Stapel pornografischer Postkarten besessen, die er einem Franzosen abgekauft hatte. Sie zeigten üppige Mädchen mit üppigem Schamhaar. Die meisten Männer der Kompanie hatten sich die Karten das eine oder andere Mal ausgeborgt.
    »Wieso?«, fragte Billy geistesabwesend, ohne den Blick vom Feind zu nehmen.
    »Die können wir doch nicht nach Aberowen schicken.«
    Billy lachte auf. »Nee, besser nicht.«
    »Was soll ich denn jetzt damit machen?«
    »Teufel noch mal, Tommy, frag mich das später. Ich

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