Sturz der Titanen
eilig.
Den ersten Konferenzmonat hatte Wilson dominiert. Er hatte französische Bestrebungen blockiert, die deutschen Reparationen ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen, den Völkerbund hingegen ganz ans Ende. Stattdessen bestand Wilson darauf, dass der Bund Bestandteil ein jeden Vertrages sein musste, den er unterzeichnen sollte.
Die Völkerbundkommission traf sich im luxuriösen Hôtel Crillon an der Place de la Concorde. Die hydraulikbetriebenen Aufzüge waren alt und langsam, und manchmal hielten sie zwischen den Etagen, bis sich wieder Wasserdruck aufgebaut hatte; Gus fand, dass sie den europäischen Diplomaten sehr ähnelten, die nichts mehr liebten als eine gemächliche, entspannte Debatte und die ohne Druck nie zu einer Entscheidung gelangten. Mit einiger Erheiterung beobachtete er, dass sowohl die Diplomaten als auch die Lifte den armen Wilson dazu brachten, dass er nervös zuckte und in zorniger Ungeduld vor sich hin murmelte.
Die neunzehn Kommissare saßen um einen großen Tisch, den ein rotes Tuch bedeckte, hinter sich ihre Dolmetscher, die ihnen ins Ohr flüsterten, während im Hintergrund die Assistenten mit Akten und Notizbüchern hantierten. Gus merkte, dass die Europäer von der Fähigkeit Wilsons beeindruckt waren, die Tagesordnung voranzutreiben. Im Vorfeld hatte es geheißen, das Abfassen des Vertragswerks würde Monate in Anspruch nehmen, wenn nicht sogar Jahre; manche Stimmen hatten sogar erklärt, die Nationen würden sich niemals einigen können. Doch zu Gus’ Freude stand man bereits nach zehn Tagen vor dem Abschluss eines ersten Entwurfs.
Am 14. Februar musste Wilson in die USA zurück. Zwar wäre er bald wieder in Paris, aber er war entschlossen, einen Entwurf des Völkerbundvertrages mit nach Hause zu nehmen. Leider legten die Franzosen ihm am Nachmittag vor seiner Abreise ein Hindernis in den Weg: Sie verlangten, dass der Völkerbund eigene Streitkräfte haben sollte. Der französische Delegierte, der frühere Ministerpräsident Léon Bourgeois, erklärte, dass niemand den Völkerbund ernst nähme, wenn dieser keine Möglichkeit habe, seine Entscheidungen durchzusetzen.
Wilson verdrehte verzweifelt die Augen. »Unmöglich«, stöhnte er.
Gus kannte den Grund für Wilsons Reaktion und teilte seine Verstimmung: Der Kongress würde niemals zulassen, dass amerikanische Truppen unter fremdem Befehl standen. Außerdem gab es für den Völkerbund genügend andere Möglichkeiten, Druck auf abtrünnige Nationen auszuüben: Diplomatie, Wirtschaftssanktionen und als letztes Mittel eine ad hoc zusammengestellte Interventionsstreitmacht, die für einen festgelegten Einsatz verwendet und danach wieder aufgelöst wurde.
Bourgeois erwiderte, dass nichts davon Frankreich vor Deutschland geschützt hätte. Gus musste einräumen, dass die französischen Bedenken in gewisser Weise verständlich waren, aber eine neue Weltordnung konnte man auf diese Weise nicht schaffen.
Lord Robert Cecil, auf den ein großer Teil des Entwurfs zurückging, bat ums Wort, indem er einen knochigen Finger hob. Wilson nickte. Er mochte Cecil, einen starken Befürworter des Völkerbunds. Aber nicht jeder dachte so: Clemenceau, der französische Ministerpräsident, behauptete, Cecil sehe wie ein chinesischer Drache aus, wenn er lächele. »Verzeihen Sie mir meine Unverblümtheit«, sagte Cecil nun. »Die französische Delegation scheint sagen zu wollen, dass sie den Völkerbund ablehnt, wenn er nicht so stark ist, wie sie es sich erhofft hat. Darf ich in aller Offenheit darauf hinweisen, dass es in diesem Fall höchstwahrscheinlich zu einem bilateralen Bündnis zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten kommen wird, das Frankreich außen vor lässt?«
Gus unterdrückte ein Lächeln. Gut so, Cecil, dachte er. Zeig’s ihnen!
Erschrocken zog Bourgeois seine Forderung zurück.
Wilson blickte Cecil über den Tisch hinweg dankbar an.
Der japanische Delegierte, Baron Makino, bat um das Wort. Wilson nickte und sah auf die Uhr.
Makino bezog sich auf eine bereits beschlossene Klausel des Vertrags, die Religionsfreiheit garantierte. Er wünschte einen Zusatz, demzufolge alle Mitglieder des Völkerbundes sämtliche Bürger anderer Mitglieder gleich behandeln sollten, ohne rassische Diskriminierung.
Wilsons Miene gefror.
Makinos Ansprache war auch in der Übersetzung noch wortgewaltig. Verschiedene Völker, betonte er, hätten im Krieg Seite an Seite gekämpft. »Ein gemeinsames Band der Sympathie und
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