Sturz der Titanen
geschickt und kommentarlos beglichen worden. Fitz beklagte sich nie. Walter wäre niemals in der Lage, ihr einen ähnlichen Lebensstil zu bieten, das wusste sie. Vielleicht hatte Bing recht, und ihr fiele es schwer, auf den gewohnten Luxus zu verzichten. Dafür aber wäre sie bei dem Mann, den sie liebte.
Wegen Beas Saumseligkeit erreichten sie das Opernhaus Covent Garden erst in letzter Minute. Die Zuschauer hatten bereits ihre Plätze eingenommen. Die drei Frauen eilten die mit rotem Teppich ausgelegte Treppe hinauf und zu ihrer Loge. Maud erinnerte sich plötzlich, was sie während der Aufführung von »Don Giovanni« in dieser Loge mit Walter getrieben hatte. Heute war es ihr peinlich. Welcher Teufel hatte sie damals geritten, ein solches Risiko einzugehen?
Bing Westhampton war bereits mit seiner Frau da; nun stand er auf und rückte Bea den Stuhl zurecht. Im Saal herrschte Stille; die Aufführung würde gleich beginnen. Gesehen und gesehen zu werden gehörte zu den Reizen der Oper, und als die Fürstin Platz nahm, drehten sich ihr viele Köpfe zu. Tante Herm setzte sich in die zweite Reihe, doch für Maud rückte Bing einen Stuhl in der vorderen Reihe zurecht. Als Maud herantrat, erhob sich Gemurmel in den Logen: Die meisten Zuschauer mussten das Foto im Tatler gesehen und den Artikel gelesen haben. Viele von ihnen kannten Maud persönlich: Dies war die Londoner Gesellschaft, die Aristokraten und Politiker, Richter und Bischöfe, die erfolgreichen Künstler und die reichen Geschäftsleute – und ihre Frauen. Maud blieb einen Augenblick stehen, damit man sie gut sehen konnte und merkte, wie zufrieden und stolz sie war.
Das war ein Fehler.
Der Tonfall im Publikum änderte sich. Das Gemurmel wurde lauter. Einzelne Wörter waren zwar nicht auszumachen; dennoch nahmen die Stimmen einen missbilligenden Klang an, so wie sich das Summen einer Fliege ändert, wenn ihr ein geschlossenes Fenster im Weg ist. Maud war bestürzt. Dann hörte sie einen Laut, der wie ein Zischen klang. Verunsichert setzte sie sich.
Nichts änderte sich, im Gegenteil: Nun starrten alle sie an. Binnen Sekunden verbreitete das Zischen sich über alle Logen und setzte sich bald auch im Parkett fort.
»Ich muss schon sagen«, protestierte Bing kläglich.
Einem solchen Hass war Maud noch nie begegnet, nicht einmal auf dem Höhepunkt der Suffragettenmärsche. In ihrem Magen wühlte ein krampfartiger Schmerz. Sie wünschte sich, die Musik würde endlich einsetzen, aber auch der Dirigent starrte sie an, den Taktstock gesenkt.
Maud versuchte, den Gaffern stolz und unbeugsam standzuhalten, doch ihr traten die Tränen in die Augen und ließen ihren Blick verschwimmen. Sie begriff, dass dieser Albtraum nicht von allein enden würde. Sie musste etwas unternehmen.
Als sie sich erhob, schwoll das Zischen an.
Tränen liefen Maud über die Wangen. Fast blind wandte sie sich um. Ihr Stuhl fiel polternd zu Boden, und sie taumelte auf die Tür der Loge zu. Tante Herm stand auf und murmelte: »O Gott, o Gott.«
Bing sprang auf und öffnete die Tür. Maud eilte hinaus, Tante Herm auf den Fersen. Auch Bing folgte ihnen. Maud hörte, wie hinter ihr das Zischen erstarb und wie sich da und dort Gelächter erhob. Dann begann das Publikum zu ihrem Entsetzen zu klatschen: Es gratulierte sich selbst, sie vertrieben zu haben.
Der höhnische Applaus folgte Maud durch den Gang, die Treppe hinunter und aus dem Opernhaus.
Die Straße vom Parktor zum Schloss von Versailles war eine Meile lang. An diesem Tag wurde sie von Hunderten berittener französischer Kavalleristen in blauen Uniformen gesäumt. Ihre Helme funkelten in der Sommersonne. Sie hielten Lanzen mit rot-weißen Wimpeln, die träge im warmen Wind flatterten.
Johnny Remarc hatte Maud trotz ihrer Bloßstellung in der Oper eine Einladung zur Unterzeichnung des Friedensvertrages verschaffen können, aber sie war gezwungen gewesen, auf der Ladefläche eines Lastwagens mitzufahren, zwischen die Sekretärinnen der britischen Delegation gezwängt, die dort saßen wie Schafe, die man zum Markt brachte.
Einen Augenblick lang hatte es danach ausgesehen, als würden die Deutschen die Unterzeichnung verweigern. Der Kriegsheld Generalfeldmarschall von Hindenburg hatte gesagt, er ziehe eine ehrenvolle Niederlage einem »Schandfrieden« vor. Das deutsche Kabinett war geschlossen zurückgetreten, statt dem Friedensvertrag zuzustimmen. Für den Leiter der deutschen Delegation in Paris galt das Gleiche. Schließlich
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