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Sturz der Titanen

Titel: Sturz der Titanen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hatte der Reichstag beschlossen, den Vertrag zu unterzeichnen, die Kriegsschuldklausel ausgenommen. Das sei inakzeptabel, hatten die Alliierten augenblicklich geantwortet.
    »Was will die Entente tun, wenn die Deutschen sich weigern?«, hatte Maud im Gasthof, in dem sie nun diskret zusammenlebten, Walter gefragt.
    »Die Siegermächte wollen in Deutschland einmarschieren.«
    Maud schüttelte den Kopf. »Unsere Soldaten würden nicht mehr kämpfen.«
    »Unsere auch nicht.«
    »Also wäre es ein Patt.«
    »Nur dass eure Marine die Seeblockade gegen Deutschland aufrechterhält. Die Entente braucht bloß zu warten, bis in jeder deutschen Stadt Hungeraufstände ausbrechen, dann könnte sie kampflos einmarschieren.«
    »Also müsst ihr unterzeichnen.«
    »Unterzeichnen oder verhungern«, hatte Walter voller Bitterkeit geantwortet.
    Heute war der 28. Juni, auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Attentat auf den Erzherzog in Sarajevo.
    Der Lkw brachte die Sekretärinnen in den Hof. Sie stiegen mit so viel Würde von der Ladefläche, wie sie aufbringen konnten. Maud betrat das Schloss und stieg die große Treppe hinauf, auf der noch mehr überladen uniformierte französische Soldaten Spalier standen, diesmal die Garde Républicaine in silbernen Helmen mit Rosshaarbüschen.
    Schließlich gelangte sie in den Spiegelsaal. Er war einer der prächtigsten Säle der Welt und besaß die Fläche von drei aneinandergelegten Tennisplätzen. Auf einer Seite blickte man durch siebzehn hohe Fenster in den Park; an der gegenüberliegenden Seite warfen siebzehn mit Bögen abgeschlossene Spiegel das Licht der Fenster zurück. Vor allem aber war dies der Saal, in dem 1871, am Ende des Deutsch-Französischen Krieges, die siegreichen Deutschen ihren ersten Kaiser gekrönt und Frankreich gezwungen hatten, Lothringen und das Elsass abzutreten. Nun wurden unter der gleichen Tonnengewölbedecke die Deutschen gedemütigt. Und ohne Zweifel träumten einige von ihnen von einer Zukunft, in der wiederum sie Rache üben konnten. Die Erniedrigung, der man andere unterwirft, fällt früher oder später auf einen selbst zurück, dachte Maud. Ob den Männern der einst verfeindeten Seiten während der heutigen Zeremonie der gleiche Gedanke kam? Wahrscheinlich nicht.
    Maud fand ihren Platz auf einer der roten Plüschbänke. Dutzende von Journalisten und Fotografen waren zugegen, und ein Filmteam mit einer riesigen Kamera sollte das Ereignis aufzeichnen. Die hohen Tiere kamen einzeln oder zu zweit herein und setzten sich an einen langen Tisch: Clemenceau entspannt und respektlos, Wilson steif und förmlich, Lloyd George wie ein alternder Zwerghahn. Gus Dewar trat ein und flüsterte Wilson ins Ohr; dann ging er zu den Presseleuten und sprach mit einer hübschen jungen, einäugigen Reporterin. Maud erinnerte sich, sie schon einmal gesehen zu haben. Gus war unverkennbar in sie verliebt.
    Um drei Uhr wurde um Ruhe gebeten, und ehrfürchtige Stille senkte sich über den Saal. Clemenceau sagte irgendetwas, worauf sich eine Tür öffnete. Die beiden deutschen Bevollmächtigten traten ein. Maud wusste von Walter, dass in Berlin niemand seinen Namen unter den Vertrag hatte setzen wollen; am Ende wurden der Außenminister und der Postminister entsandt. Die beiden Männer wirkten blass und beschämt.
    Clemenceau hielt eine kurze Ansprache; dann winkte er die beiden Deutschen vor. Beide zogen Füllfederhalter aus den Taschen und unterzeichneten das Schriftstück, das auf dem Tisch ausgebreitet lag. Im nächsten Moment, auf ein unsichtbares Zeichen hin, donnerten draußen die Kanonen und verkündeten der Welt, dass der Friedensvertrag unterschrieben worden war.
    Nun traten die anderen Delegierten heran und unterzeichneten ebenfalls – nicht nur Vertreter der Großmächte, sondern aller Länder, die von den Bestimmungen des Vertrages betroffen waren. Es dauerte lange, sodass unter den Zuschauern leise Gespräche begannen. Die Deutschen saßen bis zum Ende wie erstarrt dabei; dann wurden sie hinausgeführt.
    Maud war übel vor Abscheu. Wir haben Frieden gepredigt, dachte sie, aber die ganze Zeit haben wir Rachepläne geschmiedet. Sie verließ das Schloss. Draußen wurden Wilson und Lloyd George von jubelnden Zaungästen umdrängt. Maud umging die Menge, schlug den Weg zur Stadt ein und begab sich zu dem Hotel, in dem die deutsche Delegation wohnte.
    Sie hoffte, dass Walter nicht allzu niedergeschlagen war; für ihn war es ein schrecklicher Tag gewesen.
    Er packte seine Koffer.

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