Sturz in den Tod (German Edition)
Abenteuer, wenn sie ihren
jungen Freund im Casino traf, wo sie verabredet waren, ohne dass jemand davon
wusste oder es bemerkte. Das Heimliche hatte einen großen Reiz. Vielleicht war
dies der Hauptgrund, weshalb manche Menschen heimlich Affären begannen und zu
Ehebrechern wurden. Elisabeth Bergmann brach keine Ehe, denn ihr Mann war seit
fünf Jahren tot. Und auch ihr junger Freund war nicht verheiratet. Er war
jedoch fast dreißig Jahre jünger als sie. Elisabeth wollte sich den Kommentaren
neidischer älterer Frauen und Männer nicht aussetzen. Und auch nicht einem
weiteren Streit mit ihrem Sohn, der sowieso nur Sorge hatte, seine alte Mutter
könnte verrückt geworden sein und das Erbe, auf das er und seine Frau bereits
lauerten, mit einem jungen Liebhaber verprassen.
Elisabeth Bergmann sah noch einmal in den Spiegel. Sie fand sich
verjüngt, seit sie ihren Freund hatte. Ihr Dekolleté schimmerte von den feinen
Goldpartikeln, die sie mit einem Puder aufgetragen hatte. Ihr Top glitzerte
unter tausend Pailletten in allen Farben des Regenbogens. Er liebe sie, hatte
ihr junger Freund mal gesagt. Es war schon eine Weile her. Sie hatte so etwas
wie Glück empfunden. Und wenn es nur das Glück war, nicht zu den Frauen zu
gehören, die aufgrund ihres Alters nicht mehr begehrt wurden. Sie musste alles
tun, dass er sie weiterhin begehrte.
Im Fahrstuhl betrachtete sie sich noch einmal in den Spiegelwänden
und wischte eilig etwas Lippenstift von den Zähnen.
In der vierten Etage stieg ihr Freund dazu. Nachdem sich die Tür
geschlossen hatte, küsste er sie neben den Mund. Elisabeth Bergmann drückte ihn
lächelnd von sich, denn sie wollte ihm auf der kurzen Fahrt ins Erdgeschoss
noch einen Teil der Scheine aus ihrer Tasche zustecken.
Sie ging in sicherem Abstand zu ihrem jungen Freund am Pförtner
vorbei, nicht ohne diesen wie immer freundlich zu grüßen, denn schließlich
kannte sie ihn schon seit vielen Jahren. Auf der Promenade sahen sie und ihr
Freund sich wieder. Auf dem Weg in Richtung Columbia lagen zwischen ihnen etwa
fünfzig Meter Abstand.
Möwen kreischten am Strand. Wenn die meisten Besucher abends die
Strandkörbe verlassen hatten, machten sich die Vögel daran, den Sand um die
Strandkörbe herum nach Essensresten abzusuchen. Elisabeth Bergmann musste daran
denken, dass sie kürzlich in den Lübecker Nachrichten gelesen hatte, dass sich
Urlaubsgäste bei der Gemeindeverwaltung über das Möwengeschrei beschwert
hatten. Die Verwaltung hatte daraufhin zu erklären versucht, dass Möwen nun mal
an Ostseestränden vorkämen. Amüsant fand Elisabeth das, und noch amüsanter,
dass die Urlauber vermutlich gar nicht die Möwen gemeint hatten, sondern die
Hunderte von Krähen, die sich in den Bäumen am Strandbahnhof eingenistet und
Tag und Nacht gekreischt hatten.
Vor dem Columbia Hotel brannten große Fackeln. Auf der Terrasse zum
Meer hin saßen in Decken gehüllt noch ein paar Gäste und speisten. Sie hatten
sich einen der schönsten Plätze in Travemünde ausgesucht. Elisabeth ging durch
den Haupteingang auf der Rückseite des Hotels direkt ins Casino. Ihr junger
Freund ging durch das Restaurant auf der Vorderseite. Nur für diesen Moment
verlor sie ihn aus den Augen – wie aufregend es doch war, zu wissen, dass
sie ihm in wenigen Minuten am Spieltisch wieder begegnen und gelegentlich wie
zufällig seinen schönen jungen Körper streifen und ihm Jetons oder Geldscheine
zustecken würde. Heimlich.
ZWEI
Am nächsten Morgen stand Nina vor Frau Bergmanns Tür,
obwohl sie an diesem Tag nicht bei ihr putzen sollte. Sie klopfte mit dem
schweren, an einem Löwenkopf befestigten Eisenring gegen die massive Eichentür
des Apartments.
Nina wusste zwar, dass Frau Bergmann wie jeden Morgen in ihrem
weißen Bademantel ins Schwimmbad gegangen war, dass sie, in dunkelblauem
Badeanzug und weißer Rüschenbadekappe, begonnen hatte, eine kurze Bahn nach der
anderen zu schwimmen, doch sie wollte ganz sichergehen, dass niemand in dem
Apartment war, bevor sie heimlich aufschloss. Hoffentlich hatte Frau Bergmann
nicht ausgerechnet heute Besuch oder ließ die Saunagänge ausfallen und kam eher
zurück. Nina würde dann so tun, als hätte sie den Schlüssel für die
Abstellkammer vergessen. Das war die Ausrede, die sie sich zurechtgelegt hatte,
seit das schlechte Gewissen sie plagte wegen der fünfhundert Euro, die sie aus
der Tasche hatte mitgehen lassen. Mitgehen lassen ,
das hörte sich für Nina besser an als geklaut .
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