Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
zum Krankenhaus nahm. Auf der Fahrt dorthin zog ich einen winzigen Zeitungsausschnitt aus der Tasche, der ganz zerknittert und vergilbt war von den fünf Jahren, die ich ihn schon mit mir herumtrug. Er enthielt eine Information, an die mich nicht erinnern konnte.
Zur Erinnerung an Courtney Lynn Meyer
Courtney Meyer, 14, aus Manhattan verstarb am 15. April 2005 um 22 Uhr 05 nach dreimonatigem Kampf gegen den Krebs.
22 Uhr 05. Das war in weniger als drei Stunden. Ich erinnerte mich noch an das Stockwerk und die Zimmernummer. Ich hatte sie häufig besucht, aber das war vor allem am Anfang gewesen. Ich wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn sie mich um vier Jahre gealtert sah, oder ob sie es überhaupt noch mitbekam.
An der Schwesternstation schlich ich vorbei, als sie gerade nicht hinsahen, aber als ich Dads Stimme hörte, blieb ich abrupt stehen. Ich versteckte mich hinter einem großen Müllbehälter und sah, wie seine Füße auf mich zukamen. Er hatte sein Telefon am Ohr.
»Jackson, wo zum Teufel, wo steckst du?« Er blieb genau vor dem Müllbehälter stehen, und ich hielt den Atem an. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien. Ruf mich bitte einfach mal an, damit ich weiß, dass alles in Ordnung ist.«
Ich sah, wie er durch die Türen davonging, und zum ersten Mal dämmerte es mir, dass auch er vielleicht am Ende nicht bei ihr gewesen war. Sie war allein. Ich stand auf und schlüpfte in Courtneys Zimmer, ohne dass mich irgendwer vom Krankenhauspersonal bemerkte. Es war das größte Patientenzimmer im ganzen Krankenhaus und über und über mit Blumen, Karten und Geschenken gefüllt. Ich schloss die Tür hinter mir und verspürte sofort das Bedürfnis, wegzurennen. Weil ich wusste, was kam, und das lastete so schwer auf mir, als stünde ein Sattelschlepper auf meiner Brust.
Courtney lag auf der Seite, zusammengerollt und ganz blass. Wenn ihre roten Haare nicht gewesen wären, hätte man sie auf den sterilen weißen Laken gar nicht mehr gesehen. Der Monitor über ihrem Kopf tickte wie eine Uhr, zählte die Minuten.
Irgendwie gelang es mir, einen Fuß vor den anderen zu setzen und zu dem Stuhl neben ihrem Bett zu gehen. Dem, von dem Dad sicherlich gerade erst aufgestanden war, um mich suchen zu gehen. Sie öffnete die Augen und blinzelte, als versuchte sie, sich auf mein Gesicht zu konzentrieren. »Jackson?«
Ich konnte nur nicken und gegen meine Tränen ankämpfen.
»Du siehst so anders aus. Muss am Morphium liegen«, sagte sie.
Einfach nur ihre Stimme zu hören und das kleine bisschen Leben zu sehen, das sich noch an ihren Körper klammerte, war zu viel für mich. Ich wollte aufstehen, aber sie ließ ihre kalten Finger unter meine gleiten. »Bitte geh nicht. Hab dich ewig nicht gesehen.«
Ich rückte meinen Stuhl näher heran, und sie drückte meine Hand. »Nein, ich gehe nicht.«
Sie lächelte, und ihre Augen flackerten, aber sie zwang sich, sie offenzuhalten. »Ich kann das hier auch nicht ausstehen. Kein Wunder, dass du nie herkommen willst.«
Das war zu viel. Ich beugte mich vor, drückte meine Stirn in das kalte weiße Laken und sah zu, wie die Tränen von meiner Nasenspitze aufs Bett tropften. »Es tut mir leid, Courtney. Es tut mir so leid.«
Sie fuhr mit ihren kalten Fingern durch meine Haare und rieb mir über den Kopf.
»Nein, das meinte ich nicht.« Sie klopfte auf die freie Fläche neben sich. »Komm zu mir hoch, mir ist kalt.«
Ich wischte mir mit dem Ärmel meines Pullis die Tränen ab und legte meinen Kopf auf ihr Kissen. Courtney rückte näher, und mein Herz begann zu klopfen. Das war fast so, wie einen Geist zu sehen.
Sie hob meine Hand und legte sie an ihre Wange. »Du bist so warm … Es macht dir Angst, hier zu sein, nicht wahr?«
Ich schaute in ihre grünen Augen, die leuchteten wie immer. »Ja, aber ich gehe nicht. Ich verspreche es.«
»Schließ die Augen«, flüsterte sie. »Das hilft mir immer, wenn ich lieber woanders wäre. Und jetzt erzähl mir was Tolles, aber nichts über Krankenhäuser und kranke Leute oder irgendeinen Medizinkram.«
Ich schloss die Augen und zwang mich, ruhig zu sprechen. Ich erzählte ihr das Gleiche, was ich ihr im Jahr 2004 erzählt hatte. »Ich hab jetzt eine Freundin.«
»Nein«, sagte sie, aber es war nur ein schwaches Flüstern. »Wer ist es?«
»Sie ist von einer anderen Schule.« Ich legte meine Hand auf ihren Rücken und rieb sanft darüber.
»Wie hast du sie kennengelernt?«
»Das ist eine tolle Geschichte. Willst du
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