Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
Versuch, das Jahr 2009 zu erreichen .
Ich sah auf die Uhr am Fernseher: 19:05 Uhr.
Auch dass durch das Fenster hinter dem Sofa kein Licht hereinfiel, wies auf die Abendstunden hin. Aber welchen Tag hatten wir? Welches Jahr? Vom Flur hörte ich schlurfende Schritte auf dem Parkett. Den Rücken an die Wand gedrückt, lugte ich um die Ecke. Das war ich. Ein jüngeres Ich, das zu Courtneys Zimmer ging.
In der Sekunde, als mein Blick auf die Hand dieses jüngeren Ichs fiel, wusste ich, welcher Tag das war. Mein Herz klopfte laut, und mich befiel Übelkeit. Diesen Tag hatte ich bei jedem Zeitsprung gemieden. Und als ich zum ersten Mal im Jahr 2007 gelandet war und mehrfach versucht hatte, zurück ins Jahr 2009 zu springen, hatte ich immer riesige Angst gehabt, irgendwann hier zu landen. Und zu diesem Zeitpunkt.
Der jüngere Jackson betrat das Zimmer, und ich schlich näher an die Tür heran. Das war ich mit vierzehn Jahren.
An dem Tag, an dem meine Schwester starb.
Ich konnte halb in den Raum hineinsehen, genug, um zu beobachten, wie mein jüngeres Ich die Karte nahm und sie aufrecht auf den Schminktisch stellte. Eigentlich brauchte ich auch gar nicht hinzusehen, ich erinnerte mich noch sehr deutlich daran, auch nach all den Jahren, und wusste auch noch genau, was er als Nächstes tun würde.
Eigentlich hatte ich einen Teil davon vergessen, bis ich die 09-er Holly kennenlernte. Ein Gespräch, das ich einmal mit ihr geführt hatte, kam mir wieder in den Sinn.
»Du hast gar keine normalen Familiengeschichten zu erzählen. Zum Beispiel kannst du nicht über die betrunkene Tante klagen, die du ertragen musst, oder dich fragen, welchen Salat du zum nächsten Familientreffen mitbringen sollst«, sagte Holly, um mich aufzuziehen.
Ich lachte. »Nur weil ich kein Mittelschichtskind bin wie du, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch ganz normale Familienprobleme habe, die man nicht mit Geld lösen kann.«
Holly grinste süffisant. »Gut, dann erzähl mir ein Otto-Normalverbraucher-Familiengeheimnis, von dem man sich nicht freikaufen kann, und ich verspreche dir, dass ich das Thema nie wieder anschneide.«
Ich suchte nach der perfekten wahren Geschichte, um ihr zu beweisen, dass sie falsch lag. »Also gut, ich hab eine: Courtney hatte wahnsinnige Angst vor Gewittern. Sobald sie einen Blitz sah, kam sie durch den Flur zu mir gerannt und zerrte mich aus dem Bett. Sie wollte dann immer, dass ich in ihrem Zimmer auf dem Boden schlief.«
»Und du hast es gemacht?«, fragte Holly.
Ich zuckte die Achseln. »Das war die einzige Möglichkeit, wieder Ruhe einkehren zu lassen.«
»Das ist ein typischer Satz eines Bruders. Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.«
An dem Tag, als Courtney starb, diesem Tag, hatte ich einfach im Gefühl gehabt, dass es passieren würde. So als würde etwas in mir drin verklingen. Und ohne darüber nachzudenken, war ich direkt in ihr Zimmer gegangen und hatte mich auf den Fußboden gelegt. Ich erinnerte mich noch, dass ich mein Gesicht in den Teppich gedrückt, den Duft eingesogen und begriffen hatte, dass sie mich nie wieder bitten würde, bei ihr zu bleiben. Sie würde mich nie wieder um zwei in der Nacht wecken und mich anbetteln, mein gemütliches Bett zu verlassen, um auf ihrem harten kalten Boden zu schlafen. Und möglicherweise habe ich auch mit vierzehn beschlossen, dass ich nie wieder so enden wollte, allein und mit dem Gesicht im Teppich von jemand anderem.
Ich klopfte auf meine linke vordere Hosentasche. Mein eigenes Exemplar dieser Karte trug ich zusammengefaltet in einem kleinen Fach meines Portemonnaies mit mir herum. Zwei Exemplare, und keins davon hatte die Empfängerin erreicht.
Mir sprang fast das Herz aus der Brust, als aus dem Telefon meines jüngeren Ichs plötzlich ein Beatles-Song plärrte. Dieser andere erschrak ebenfalls und seufzte, nachdem er auf die Nummer gesehen hatte. Er stellte das Telefon aus und warf es in den Flur, dann trat er die Tür zu.
Es war Dad, der da anrief, und Courtneys Zimmer war der allerletzte Ort, wo er nach mir suchen würde. Ich hatte mich vor ihm verstecken wollen. Vor allen.
Ich lehnte an der Wand, drückte die Augen zu und kämpfte gegen das Bedürfnis an, zurückzuspringen. Es war kein Zufall, dass ich hier gelandet war, und dies war meine Chance, es richtig zu machen, auch wenn es keine Rolle spielte. Wenn es die Zukunft nicht veränderte.
Die Türsteher ignorierten mich glücklicherweise, als ich hinausging und ein Taxi
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