Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)

Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Sturz in die Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cross
Vom Netzwerk:
bist du wie die anderen?« Ich trat ein Stück von ihr weg. Mir fiel das plötzlich verschwundene Kind wieder ein, das ich in der Nacht davor im Hotel hatte herumlaufen sehen. Es hatte zwei Jahre jünger ausgesehen.
    »Fast, aber nicht genau so«, wiederholte sie und lächelte ein wenig.
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich bin eingeschlafen, nicht wahr? Oder hab ich mir den Kopf gestoßen? Du siehst genauso aus wie meine Schwester.«
    »Wir sehen alle gleich aus. Die meisten von uns. Das gleiche Erbgut, verstehst du?«
    »Ach so … ja dann«, sagte ich.
    Emily streckte mir ihre kleine Hand entgegen. »Komm mit.«
    »Warum?« Aber ich ergriff ihre Hand trotzdem.
    »Ich muss dir etwas zeigen.«
    Sie führte mich zu einer Treppe, die vermutlich zur Straße hinaufführte. Mit der freien Hand zog ich meine Pistole. »Was weißt du?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich tu dir nichts.«
    »Ich mache mir nicht deinetwegen Sorgen, sondern wegen dem, der dich zu mir geschickt hat.«
    »Mich hat niemand geschickt.« Dann lächelte sie mich an. »Um genau zu sein, du hast mich geschickt.«
    Ich stutzte und blieb wie angewurzelt vor der Treppe stehen. Dann beugte ich meine Knie, bis wir uns auf Augenhöhe befanden. Beim Blick in ihre tiefgründigen blauen Augen vergaß ich, was ich fragen wollte. »Du hast meine Augen …«
    Sie lächelte wieder. »Ja.«
    »Warum? Wie?«
    Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen. Bitte lass mich dir etwas zeigen.«
    Doch bevor sie die erste Stufe nahm, drehte sie sich noch einmal um. »Das hätte ich fast vergessen.« Sie griff in ihre Tasche und legte etwas in meine Hand. »Das soll ich dir geben.«
    Ich starrte auf den winzigen Gegenstand in meiner Handfläche. Ein Diamantring glitzerte im Neonlicht des U-Bahnhofs. Ich drehte den Ring in meiner Hand und dachte, dass er eine Bedeutung über das hinaus haben musste, was ich Holly gerade heute gefragt hatte. Aber unabhängig davon hatte diese andere Version von mir ein miserables Timing. Es war ja wohl kaum notwendig, mich in einer Parallelzeit in eine U-Bahn-Station zu zerren, bloß um mir einen Ring zu geben, noch dazu mitten in einem Unwetter, das uns beinahe umgebracht hatte.
    Ich folgte Emily die Treppe hinauf und bemerkte Lichteinfall von oben. Es war Tag. »Ist das New York?«
    »Ja.«
    Oben angekommen erwartete ich, den vertrauten Lärm der Stadt zu hören: Hupen, Motorengeräusche, Handy-Telefonate der Passanten. Doch es war still. Wir traten ins Freie, und ich schaute mich mit offenem Mund um.
    Das war New York – aber so hatte ich es noch nie gesehen. Ein paar Gebäude standen noch, aber sie waren von beigem Staub bedeckt, der vermutlich vom Einsturz der umliegenden Gebäude stammte.
    Meine Knie drohten nachzugeben. Das war meine Heimat, der Ort, an dem ich aufgewachsen war. Aber niemand war da. Nichts. Ich drehte mich langsam um mich selbst und erblickte Straßen, die so dicht mit Trümmern übersät waren, dass ich den Asphalt darunter nicht sehen konnte.
    Als Emily neben mir hustete, schreckte ich auf und bemerkte, dass ich auch hustete. Alles über der Erde war von bräunlichem Schutt bedeckt. Kein Wunder, dass wir an der Luft beinahe erstickten.
    »Emily, ist das … die Zukunft?«, fragte ich. Die Vergangenheit konnte es nicht sein, jedenfalls keine Vergangenheit, die ich im Geschichtsunterricht durchgenommen hatte.
    »Ja«, keuchte sie.
    »Was ist passiert? Welches Jahr haben wir?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Aber wie ist das passiert? Gab es einen Krieg … oder etwas anderes?«
    »Soweit ich weiß, versuchen … einige Leute, das hier zu verhindern, und andere wollen unbedingt erreichen, dass es passiert.«
    Ich sah sie lange prüfend an und kam zu dem Schluss, dass sie die Wahrheit sagte. Es war also nicht nur ein Bandenkrieg. Dieser Ort, dieses Jahr waren furchtbar. Irgendjemand musste diese Zerstörung verhindern.
    »Ich … ich habe mich bei einem Sprung noch nie außerhalb der Spanne meines eigenen Lebens bewegt«, sagte ich.
    »Es liegt daran, dass ich bei dir bin«, brachte sie hustend hervor.
    »Du bist anders als ich, das habe ich verstanden. Aber wie unterscheidest du dich von denen?«
    Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und wischte sich den Staub ab. »Ich habe alles, was sie sich wünschen.«
    Das schien sie nicht gerade mit Befriedigung zu erfüllen.
    Aus der Ferne vernahm ich Bellen. Das erste Geräusch, seit wir hier angekommen waren.

Weitere Kostenlose Bücher