Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
kennengelernt habe. Ich glaube, sie haben ihn aus seinem Heimatland rausgeschmissen. Wahrscheinlich ist er nicht mal legal eingereist.«
Sie entspannte sich wieder und lehnte sich zurück. »Du scheinst ja einen guten Umgang zu pflegen.«
»Ich gebe mir Mühe. Ich hab ihm angeboten, eins seiner Produkte zu testen. Einen gefälschten EU-Pass. Damit ich mich am Flughafen in die Schlange für EU-Bürger einreihen kann. Die ist nämlich erheblich kürzer als die andere Schlange.« Ich schaute in ihre eiskalte Miene und machte eine kurze Pause, bevor ich meine Geschichte fortsetzte. »Ein EU-Pass. Das ist ein Ausweis für Leute in Europa.«
»Ich weiß, was ein EU-Pass ist«, giftete sie mich an. »Wenn du kein amerikanischer Staatsbürger warst, was warst du dann?«
»Franzose«, sagte ich.
Sie lachte ein humorloses Lachen. »Das hätte dir doch kein Mensch abgenommen.«
Ich grinste sie selbstgefällig an und rezitierte die Erklärung der Menschenrechte mit dem besten französischen Akzent, den ich hinbekam. Ausnahmsweise war mir mal irgendwas von dem Kram, den ich in der Schule gelernt hatte, zu was nütze.
Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Nicht schlecht. Red weiter.«
»Wir, mein Freund – ich nenne ihn mal Sam – und ich, haben es also mit seinem gefälschten Pass bis nach London geschafft. Das haben wir dann im Pub erst mal ordentlich gefeiert, und ich hab ihm vorgeschlagen, ich könne ja ohne amerikanischen Pass nach Hause fliegen. Als der französische Austauschstudent Pierre. Er hat zehntausend Dollar dagegen gewettet. Ich war mir nicht sicher, ob ich so ein Riesending wirklich gedreht kriegen würde, aber glücklicherweise hatte ich da gerade diese zwei Mädels kennengelernt, die für Delta arbeiteten. Ich hab sie bequatscht, mir einen Freiflug nach New York zu geben.«
»Und das hat funktioniert?«, fragte sie. »Du bist tatsächlich als französischer Staatsbürger hier eingereist?«
»Sieht so aus«, sagte ich und streckte die Arme aus.
»Und wo ist dieser französische Pass?«, fragte sie.
»Den hab ich verbrannt, sobald ich durch den Zoll war.«
»Du willst mir also erzählen, dass ein Einser-Schüler mit 1970 Punkten im Zulassungstest für die Hochschule, der gebildet genug ist, um zwei Fremdsprachen fließend zu sprechen, keinerlei Vorstrafen und noch nicht mal einen Strafzettel wegen Falschparkens bekommen hat, plötzlich beschließt, sich zu betrinken und nicht nur gegen einige amerikanische, sondern auch ausländische Gesetze zu verstoßen? Es gibt Länder, in denen man für so was gehängt werden kann.«
»Quatsch«, sagte ich.
Sie beugte sich wieder vor. »Wollen wir wetten? Ich schicke dir eine Liste von jedem einzelnen Land, in dem dich so ein Verstoß den Kopf gekostet hätte. Ich lege sogar die exakten Klauseln dazu, in denen von deinem drohenden Tod die Rede ist.«
»Ganz schön clever für eine Sekretärin.« Ich wartete eine Sekunde, um eine Reaktion zu bekommen, doch sie verzog keine Miene. »Glauben Sie doch, was Sie wollen. Mir ist das absolut schnurz. Ich war da, und jetzt bin ich hier. Wie durch Magie.«
Sie stöhnte, stand auf und lief mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. »Verdammte überhebliche Teenies«, grummelte sie.
»Sind Büroangestellte nicht angehalten, höflich sein? Kundenfreundlichkeit und so?« Ich grinste.
Sie sah mich so wütend an, dass ich ihre Blicke wie Laserstrahlen auf meiner Haut spürte. »Du solltest mal drüber nachdenken, dich zu duschen, bevor dein Vater zurückkommt. Du stinkst schlimmer als die Penner draußen vor dem Haus.«
Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Ich war mehrfach in den Regen gekommen und hatte mich seit einem Zeitraum, der drei Tagen entsprach, nicht umgezogen. Ohne zwischendurch zu duschen.
Ich stand auf und ging, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, in mein Zimmer. Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich dagegen und ließ mein Herz und mein Hirn zu dem Rest von mir aufholen. Ich hatte das ungute Gefühl, das noch ziemlich häufig tun zu müssen, wenn ich im Jahr 2007 steckenblieb, aber es schien mir nichts anderes übrig zu bleiben.
Dem Gespräch, das ich soeben geführt hatte, war zu entnehmen gewesen, dass mein jüngeres Ich ungefähr zu der Zeit, als ich im Jahr 2007 gelandet war, wie vom Erdboden verschwunden war. Das ergab alles keinen Sinn. Nichts davon passte zu den Daten, die Adam und ich gesammelt hatten. Dass dieses andere Ich verschwunden war, gab mir
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