Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
stellte, unter das heiße Wasser.
»Ich finde, es sieht gut aus so«, flachste ich. Ihr Arm befand sich in Griffweite, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ich nahm den Pinsel, den sie in der Hand hielt, und zerrte so fest daran, dass sie unter meine Dusche gezogen wurde. Das Wasser landete direkt auf ihrem Kopf.
»Ich fasse es nicht, dass du das getan hast«, sagte sie prustend.
»Ich dachte mir, du solltest die Farbe lieber rauswaschen, bevor sie ganz trocken ist.« Ich stellte mich zu ihr unter die Dusche, und sie schaute zu mir hoch und lächelte, als hätte sie diesen Morgen vollkommen vergessen, auch wenn ich wusste, dass es nicht so war. Auch wenn ich wusste, wie viel Angst sie gehabt hatte. Und doch war sie hier. Jetzt.
Und bevor ich auch nur eine Chance hatte, sie davon abzuhalten, stellte Holly sich auf ihre Zehenspitzen und küsste mich ganz leicht auf den Mund. Allein schon der Gedanke daran, dass wir uns näherkamen, ließ mein Herz rasen und brachte wieder Leben in mich. Noch in der Sekunde, als ihre Lippen meine berührten, rückten wir enger zusammen, und unsere Hände griffen nach irgendeinem Teil des anderen, um sich daran festzuhalten. Meine Hände waren auf ihrem Gesicht, ihr Mund bewegte sich mit meinem, ihre Finger legten sich um meinen Nacken, und der Strahl der Dusche lief über uns wie ein Wasserfall.
Es war genau wie beim ersten Mal … ein paar Jahre in der Zukunft.
Plötzlich wechselte die Wassertemperatur von dampfend heiß zu eiskalt, und wir sprangen auseinander. Schnell griff ich nach dem Regler und stellte die Dusche aus. Holly zitterte und war tropfnass. Ich nahm ein paar Handtücher aus dem Regal über dem Waschbecken und legte sie ihr um die Schultern.
»Du hast immer noch Farbe in den Haaren.«
Sie lachte erneut, diesmal ein nervöses Lachen, dann ging sie um mich herum und setzte sich vor einem der Schließfächer auf den Boden. »Ich frage mich, ob Toby nicht noch ein sauberes Shirt in seinem Fach hat.«
Ich hob die Farbwanne wieder auf, stellte sie auf den Boden der Dusche und sah zu, wie Holly an dem Schließfach rüttelte. »Mist, abgeschlossen.«
Plötzlich schoss mir ein Bild durch den Kopf: Toby, wie er am Nachmittag an dem Zahlenschloss gedreht hatte, während ich am Becken stand und mir die Hände wusch.
»Zweiundzwanzig, sechzehn, fünf«, sagte ich, ohne nachzudenken. Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Dr. Melvin hatte doch neulich etwas von einem fotografischen Gedächtnis gesagt. Wann hatte das angefangen, dass ich mich an so etwas erinnerte, und was hatte es zu bedeuten?
Sie stellte die Zahlen ein, und das Schloss sprang auf. »Ich hoffe, da ist nichts drin, was ich nicht sehen möchte.«
Dass ich die Zahlenkombination kannte, schien sie nicht im Geringsten zu kümmern, aber wir hatten ja auch nicht gerade einen Safe voller Geld vor uns. Es war ein Schließfach im Sportstudio, wahrscheinlich vollgestopft mit verschwitzten Socken und vielleicht einem Deo. Ich schob die Frage beiseite und fügte sie meiner Liste von Fragen für Adam hinzu, die ich ihm stellen wollte, wenn ich endlich Gelegenheit haben würde, ihm alles zu erzählen.
»Du hast doch nicht vor, irgendjemandem von dem hier zu erzählen, oder?«, fragte Holly, mit dem Kopf noch halb im Schließfach.
Ich ging mal davon aus, dass sie mit »dem hier« unseren Kuss meinte und nicht die Sache mit der Wandfarbe. Oder vielleicht meinte sie auch beides …
»Nicht, wenn du es nicht möchtest«, sagte ich.
Sie seufzte und ließ sich auf der Bank nieder, die an der Wand stand. »Ich kann mir schon lebhaft vorstellen, wie Toby und David mich damit aufziehen werden.«
»Dass du in eine Farbschlacht geraten bist?« Ich setzte mich neben sie, und wir lehnten uns beide an die Wand.
»Nicht wegen der Farbe.« Sie wurde ein bisschen rot.
»Deine Freunde ziehen dich wegen mir auf?«, fragte ich.
Sie nickte. »Ja, seit dem Pokerabend. Und aufziehen ist noch stark untertrieben.«
Ich beugte mich vor und küsste sie auf den Hals, direkt unter dem Ohr. Sie bekam sofort eine Gänsehaut. »Du brauchst ihnen doch gar nichts zu sagen. Es kann unser Geheimnis bleiben.«
Holly lächelte und verschränkte ihre Finger mit meinen. »Dann brauchen wir aber auch einen geheimen Treffpunkt, damit es niemand mitkriegt.«
Ich sah sie eine Weile an und ließ ihre verträumte jugendliche Miene auf mich wirken. Die Holly von 2007 war anders als die ältere. Das Mädchen, dass ich 2009
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