Sturz in die Zeit: Roman (German Edition)
hatte. Sie hat mir erzählt, dass du Sozialstunden ableisten musst«, sagte Holly achselzuckend. »Weil du verhaftet wurdest oder so. Was hast du denn eigentlich verbrochen?«
Jenni Stewart hatte sich also eine Legende für mich ausgedacht. Wie nett von ihr, mal abgesehen davon, dass ich jetzt das reiche Jüngelchen war, das mit dem Gesetz im Konflikt lag, was noch schlimmer war, als einfach nur das verwöhnte reiche Jüngelchen zu sein.
»Das«, sagte ich lachend, nahm den kleinen Pinsel und hielt ihn an ihre Wange. Dann zog ich ihn, bevor sie mich aufhalten konnte, einmal quer durch ihr Gesicht.
Sie schloss sofort die Augen. »Das hast du nicht gemacht.«
»Wetten doch?«, neckte ich sie.
Sie schlug die Augen auf, schoss um mich herum, stürzte sich auf die große Rolle in der Farbwanne und hielt sie – bereit zum Angriff – hoch. »Wage es ja nicht, auch nur einen Schritt näher zu kommen, Jackson.«
Ich erhob die Hände. »Okay, okay, ich ergebe mich.«
»Gut.« Sie ließ die Rolle sinken, so dass sie an ihrer Körperseite baumelte.
Aber kaum dass ich mich nach einem Haufen Papiertücher bückte, spürte ich auch schon, wie die nasse, klebrige Rolle über meinen Rücken fuhr. Ich hielt den Pinsel noch in der Hand. Langsam richtete ich mich auf, bis ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, und grinste über ihre selbstgefällige Miene. Dann fuhr ich mit dem Pinsel schnell einmal von ihrer Stirn bis zur Nasenspitze. Sie duckte sich unter meinem Arm durch und zog die Rolle über meinen Hinterkopf.
So ging es noch ein paar Minuten weiter, bis ich mich, nachdem wir beide von Kopf bis Fuß voller Farbe waren, auf die Abdeckfolie fallen ließ. »Ich muss mal eine Pause einlegen.«
Holly lachte und setzte sich neben mich. »Waffenstillstand?«
»Waffenstillstand«, willigte ich ein.
Nach einer kurzen Stille war sie wieder total nervös, zog die Knie an die Brust und kaute an ihren Nägeln. Ich nestelte an ihrem Söckchen herum, um das Gelände zu testen. Als sie weder zusammenzuckte noch wegrückte, wagte ich den nächsten Schritt.
»Nur damit du es weißt: Ich war vorher noch nie in Schwierigkeiten. Das war einfach nur eine blöde Verwechslung mit einer Kreditkarte und einem falschen Ausweis.«
Sie nickte und legte dann ihre Wange aufs Knie. »Und du wohnst wirklich in Manhattan?«
»Ja, das stimmt.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Zeig mir deinen Führerschein.«
Ich zog an ihrem Arm, bis sie neben mir lag. Dann gab ich ihr mein Portemonnaie. Sie suchte darin herum und zog meinen Führerschein heraus.
»Du bist 1990 geboren, wie ich. Aber du wärst jetzt in der Zwölf, stimmt’s? Wenn du nicht aufgehört hättest.«
»Ja, ich hab im Sommer Geburtstag und bin früh eingeschult worden.«
»Und wo bist du zur Schule gegangen?«, fragte sie.
»Ich hab eine total versnobte Privatschule auf der Upper East Side besucht«, antwortete ich seufzend.
Holly zog die Nase kraus. »Igitt.«
»Wem sagst du das?« Ich drehte mich auf die Seite, damit ich sie ansehen konnte. »Ich arbeite gern hier. So kann ich dem ganzen Mist entfliehen, mit dem ich auf der Highschool klarkommen musste. Und ich schwöre, ich hatte keine Ahnung, dass heute so was passieren würde. Ich hatte so einen Schiss.«
»Aber du hast schon dein Leben lang damit zu tun, oder?«
Ich wischte einen Farbklecks unter ihrem linken Auge weg. »Ich hab gerade erst herausgefunden, was mein Vater wirklich von Beruf ist. Vor ein paar Monaten. Ich bin noch dabei, mich an den Gedanken zu gewöhnen.«
»Es ist schwer zu glauben, dass er so was jeden Tag macht. Ich glaube, ich hatte noch nie solche Angst«, gestand sie.
Mir zog sich vor Schuldgefühlen alles zusammen. »Es tut mir so leid, und falls dir das hilft: Mir zittern immer noch die Knie. Wahrscheinlich bin ich deshalb auch von der Leiter gefallen.«
Sie lächelte flüchtig und setzte sich dann auf. »Wollen wir noch fertig aufräumen?«
Widerstrebend erhob ich mich von meinem gemütlichen Platz. Zusammen trugen wir die Farbwannen und Pinsel in den Umkleideraum für Jungs.
»Vielleicht sollten wir heißes Wasser darüber laufen lassen und in ein paar Minuten noch mal wiederkommen«, schlug ich vor.
»Ja, das ist wahrscheinlich das Beste.« Holly zog ihre Turnschuhe aus und krempelte die Hosenbeine hoch, dann stellte sie eine der Duschen an.
»Ich hoffe, dass die Farbe aus meinen Haaren überhaupt noch rausgeht«, sagte sie, während sie ihre Farbwanne auf den Boden
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