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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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vermutlich war es immer noch braun vom Schlamm und voller toter Gegenstände.
    Nicht weiß.
    Nicht leuchtend in der Dunkelheit.
    Nicht so eiskalt, dass das Wasser gefror.
    Aber dann war dieser Fluss auch nicht der, von dem sie geträumt hatte. Immer wieder, seit Nächten, seit Wochen, seit Monaten. Der leuchtende, kalte Fluss, der zu ihr sprach, nein, der ihrem Herzen entsprang und ihr ganzes Wesen ausfüllte. Der Fluss, der ihre innere Stimme war.
    Sie war aufgewacht in der Wärme der Scheune und hatte die Eiskristalle auf ihrem Schlafsack gesehen, die dünne Eisschicht, die sich ihre Arme hinaufzog, die Flocken, die sich in ihren Haaren verfangen hatten. Sie konnte sich an das Gefühl erinnern, wie ihre Lippen vom Frost aufeinander geklebt hatten. Kälte.
    Wie die Kälte der »Anderen«.
    Wer war sie?
    Der Fluss rauschte, als kenne er eine Antwort auf diese Frage. Doch Cassie konnte ihn nicht verstehen. Sie sprach nicht seine Sprache – oder wollte sie nicht sprechen.
    Einen Augenblick lang überlegte sie was passieren würde, wenn sie sich einfach in den Fluss stürzen würde. Die Ufer hier waren steil und das Wasser strömte mit hoher Geschwindigkeit dahin. Es wäre nicht schwer, sich von ihm mitreißen zu lassen.
    Doch Cassie wusste nicht, ob sie überhaupt ertrinken konnte.
    Wer bin ich?
    »Cassie!«
    Im ersten Moment glaubte sie, die Stimme lieferte die Antwort auf ihre unausgesprochene Frage. Dann wiederholte sich der Ruf und sie konnte Schritte im Uferschlamm hören, die sich rasch näherten. »Cassie! Komm zurück!«
    Sie blieb stehen und wartete, da sie das Gefühl hatte, Navin sowieso nicht entkommen zu können. Wenn es jemanden gab, der sie finden konnte, dann er. Sie gehörten zusammen, so viel hatte sie begriffen. Das war auch das Einzige, was sie von dem Traum akzeptieren konnte.
    Seine schemenhafte Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit und kam rasch näher.
    Jetzt, wo er nicht mehr wankte und auf seinen eigenen Beinen stehen konnte, kam er Cassie viel größer vor als noch am Abend zuvor. Größer und dünner. Beinahe war sie überrascht, dass er keine Robe trug. Aber als er bei ihr angekommen war, sah er aus wie ein ganz gewöhnlicher Mensch. Ein bisschen groß, ein bisschen mager, mit besorgten Augen in einem hohlwangigen Gesicht.
    »Warum bist du weggelaufen?« Er blieb neben ihr stehen, schob die Hände in die Taschen seiner abgewetzten Jeans und starrte auf das Wasser des Flusses hinaus.
    »Das fragst du noch?«
    Sie war sich sicher, dass sie diesen Traum geteilt hatten. Es gab keinen Zweifel. Das Einzige, was sie nicht sagen konnte, war, ob es sich tatsächlich um einen Traum gehandelt hatte. Es hatte sich anders angefühlt. Mehr wie ... eine Vision. Von der Art Wahrheit durchdrungen, die sie auch in dem Rauschen des Flusses hörte.
    »Ich will Lennart nicht umbringen«, sagte sie so leise, dass sie nicht sicher war, ob Navin sie überhaupt hören konnte.
    Er schwieg und sah weiter auf das Wasser hinaus.
    »Ich bin doch kein Fluss«, begehrte Cassie auf, als ihr sein Schweigen zu viel wurde. »Wie kann das sein, dass ich ich bin und doch dieser ... Totenfluss sein soll? Ich bin ein Mensch wie alle anderen auch. Warum soll ich dafür verantwortlich sein, dass Menschen sterben müssen?«
    Navin schwieg immer noch. Allerdings zog er eine Hand aus der Hosentasche und legte den Arm um Cassies Schultern. Am liebsten hätte sie ihn weggestoßen, doch dann bemerkte sie, dass ihr die Wärme gut tat, und sie ertappte sich dabei, dass sie sogar noch ein kleines Stück näher zu ihm rückte. Es fühlte sich menschlich an hier zu stehen, so nahe bei Navin. Nur, dass sie offensichtlich nicht menschlich sein sollte.
    »Wer hat mich zu dem gemacht? Ich hatte ein ganz normales Leben, bevor ... vor ... bevor die »Anderen« kamen. Ich habe mich doch nicht verändert!«
    »Nicht?«
    Er hatte so lange geschwiegen, dass der Klang seiner Stimme sie nun beinahe erschreckte. Sie zuckte zusammen und spürte, wie sich der Druck seines Armes um ihre Schulter ein wenig verstärkte. Er beschützt mich nicht , dachte sie bitter, er sorgt dafür, dass ich nicht noch einmal davonlaufe.
    »Nein, habe ich nicht. Und ich bin sicher kein Fluss. Ich will mein Leben zurück. Und ich will, dass Lennart überlebt. Ich will, dass alle Kinder bei mir überleben. Dafür habe ich sie doch die ganze Zeit gehütet.«
    Navin schwieg. Die Hand auf ihrer Schulter spielte mit den Laschen der Parka und wieder hatte Cassie das Bedürfnis,

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