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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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die kalten Tropfen auf seiner Haut zu winzigen Eiskügelchen erstarrten und schauderte. Vorhin noch hatte die Kälte ihm nichts anhaben können, doch jetzt ... wenn er nicht achtgab, würde der Fluss ihn umbringen.
    »Ich tue nur meine Pflicht«, rief er in das Brausen der Wellen hinein. »Ich bin nur der Fährmann. Ich bin es nicht, der entscheidet, wer geht und wer bleibt.« Doch das Wasser hörte nicht auf ihn. Im Gegenteil. Das Rauschen nahm noch zu und eine große Welle hob die Seite des Bootes an, so dass es gefährlich kippte und weiteres kaltes Wasser an Bord schwappte. Navin glaubte inzwischen, Gesichter und Augen in den Wellen zu erkennen. Große, dunkle Augen, die ihn an einen Totenkopf erinnerten.
    Lennart klammerte sich an eine Seite des Bootes. Er stand bereits knietief im Wasser und war vollkommen durchnässt. Seine Zähne klapperten und auf seinem Gesicht zeichnete sich nun doch Angst ab. Er starrte auf die Wasseroberfläche, als könne er dort irgendwelche Monster entdecken. Vielleicht waren dort auch welche. Navin sah Hände aus weißem Schaum, die sich in die Bootswand krallten und damit begannen, Splitter aus dem Holz zu brechen. Etwas knirschte und knackte, als das Boot gegen einen in der Dunkelheit unsichtbaren Stein geworfen wurde. Ein Ruck durchlief das ganze Gefährt. Navin wurde von den Füßen gerissen, schwankte und verlor die Stange aus der Hand. Das raue Holz riss ihm die Haut auf, ein langer Splitter bohrte sich in seine Handfläche und Navin konnte Blut sehen, das hinunterlief und auf seine Robe tropfte. Eine Welle schlug über den Bootsrand und brach sich direkt über ihm. Das Wasser war seltsam weiß und mischte sich mit seinem Blut. Dunkle Schlieren auf milchweißem Untergrund. Navin konnte die Eisklümpchen spüren, die sich um seine Beine herum sammelten.
    Das Boot ruhte auf dem Fels, nur ab und zu durchgeschüttelt von der Gewalt des Wassers, wie ein unruhiges Tier, das sich losreißen wollte.
    »Cassie«, flüsterte der Junge. Seltsamerweise konnte Navin ihn klar verstehen, auch wenn seine Stimme so leise war, dass sie sich über das Brüllen des Stroms eigentlich nicht hätte durchsetzen können. »Cassie, lass mich gehen. Ich möchte es. Du hast mich doch hierher gebracht.«
    Navin rappelte sich auf und wankte in Richtung der Stange. Er hoffte, dass sie nicht gebrochen war. Ohne die Stange hatte er keine Möglichkeit das Boot zu lenken. Noch weniger, als er es sowieso schon hatte. Der Fluss schien sich ein wenig beruhigt zu haben, zog hier und da an dem rissigen, brüchigen Holz, machte aber keine Anstalten, das Schiff loszureißen. Vermutlich war er glücklich, dass er das Gefährt hierlassen konnte; auf halbem Weg zwischen dem einen und dem anderen Ufer, zwischen Leben und Tod.
    Navin griff nach der Stange, packte sie fest mit beiden Händen und senkte sie wieder ins Wasser. Er tastete nach dem Grund, konnte aber keinen Widerstand spüren. Kälte kroch an dem Holz empor. Navin konnte die Frostschicht sehen, die sich darauf bildete. Er sah zu dem Jungen und bemerkte, dass auch sein Gesicht von einer Eisschicht überzogen war. Weiße Kristalle wie Schneeflocken hingen in seinen Wimpern. Dennoch schien er nicht zu frieren, zitterte nicht einmal. Er saß nur da und blickte auf das weiße, schäumende Wasser, als habe es ihn hypnotisiert.
    »Lass uns gehen«, murmelte Navin und suchte weiter mit der Stange nach Grund.
    »Niemals«, flüsterte das Wasser zurück. Eisschollen klebten an Bug und Heck und setzten das Boot fest.
*
    Der Traum endete so plötzlich, wie er begonnen hatte. Navin hatte die Stimme des Wassers noch in den Ohren, als er aus dem Schlaf emporfuhr. Seine Haut fühlte sich eiskalt und klamm an und er erwartete beinahe, eine Eisschicht darauf zu sehen, als er an sich herunterblickte. Doch stattdessen bemerkte er, dass er von kaltem Schweiß bedeckt war; ein dünner, glänzender Film, der seinen ganzen Körper zu überziehen schien.
    Navin blinzelte und blickte sich verwirrt um.
    Die Scheune war so dunkel wie zuvor. Vielleicht sogar noch ein bisschen dunkler, jetzt, wo das Feuer endgültig heruntergebrannt war und nur noch einige Kohlen glühten, wie die Augen eines Tieres in der Dunkelheit. Er brauchte eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die so anders war als die Helligkeit des Wassers aus seinem Traum. Endlich schälten sich nach und nach die schlafenden Gestalten der Kinder aus dem Dämmerlicht, in den Ecken der Scheune zusammengekauert, alle

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