STYX - Fluss der Toten (German Edition)
so etwas. Das war vielleicht ein erster Arbeitstag für Eduardo.
»Mach, das es verschwindet!«, schrie der Passagier.
Eduardo hob sein Ruder und schlug nach dem Verstorbenen. Erst traf er nur dessen Finger und schreiend ließ der Verdammte das Boot los. Eduardo schlug wieder zu, verfehlte ihn aber. Der Verstorbene verschwand unter Wasser und tauchte auf der anderen Seite des Bootes wieder auf. Mühsam hob er sich hinein und begann zu würgen. Eduardo wollte erneut zuschlagen, hielt aber inne. Der Verstorbene erbrach sich in das Boot.
»Uh ... ekelig«, sagte der Passagier und rutschte auf die andere Seite.
Langsam ließ Eduardo das Ruder sinken. »Kenn ich dich nicht?«
Der Verstorbene ließ sich nach hinten fallen und nickte.
Eduardo betrachtete angewidert die Sauerei in seinem Boot. »Du bist der erste Tote, den ich kotzen sehe.«
»Wenn du ... wenn du das Gleiche gesehen hättest wie ich, dann müsstest du auch kotzen.«
Als er die Laterne am Bug sah, musste Jean lächeln. Danach riss er die Augen auf und fuhr hoch. Hastig durchsuchte er sein Erbrochenes, bis er fand, wonach er suchte.
»ICH HAB SIE!«, schrie er und hielt etwas in die Höhe.
»Was hat er?«, fragte der andere Passagier.
Lachend tauchte Jean seine Hand ins Wasser und putzte etwas sorgfältig an seinem Hemd ab. Dann hielt er mit zittriger Hand Eduardo die Münze entgegen.
»Hier! Nimm! Das ist für die Überfahrt. Bitte nimmt. Es ist ein echter Obolus und es ist meine Münze. Meine !«
Zögerlich – und vor allem: widerwillig – nahm Eduardo die Münze entgegen. Er betrachtete sie von beiden Seiten und sah dann den Verstorbenen an.
Der war nass, völlig erschöpft und Eduardo wusste nicht, was er da unten erlebt hatte, aber er war gewillt, diesem Mann eine Chance zu geben. Warum auch nicht? Das war eine besondere Münze mit einer besonderen Geschichte. Eduardo nickte und steckte den Obolus in seinen Beutel.
»Was? Eine ausgekotzte Münze nimmst du an, meine aber nicht?«, rief der andere Passagier erbost.
»Ich bringe den eben noch zurück, dann geleite ich dich ins Totenreich. Wird ein wenig dauern«, sagte Eduardo und begann zu rudern.
Lächelnd ließ sich Jean nach hinten fallen und winkte ab. »Lass dir ruhig Zeit. Ich kann warten.«
Kafkas Geburtstag
Achim Amme
Das Taxi erschien auf die Minute genau.
Wie abgesprochen. Gut.
Es drohte, jeden Moment zu regnen. Nicht so gut.
»Ich komme«, rief ich in die Gegensprechanlage.
Schon auf dem Absprung, steckte ich noch meine Brille und die Dispo ein – vielleicht würde beides noch benötigt werden –, griff nach meinem schwarzen, an der Innenseite von Sternbildern geschmückten Regenschirm, und eilte die Treppe hinunter.
In Gedanken malte ich mir aus, wie ich bereits an der Haustür von einem dienstbeflissenen Chauffeur abgeholt würde, der mir seinen eigenen Schirm entgegenstreckte. Dem war jedoch nicht so. Der Fahrer erwartete mich sitzend in seinem geschützten Taxi. Es kümmerte ihn nicht die Bohne, wie ich durch den plötzlichen Regenguss zu ihm gelangte. Gut, dass ich vorgesorgt hatte!
Nach einem etwas umständlichen Manöver beim Einsteigen hatte ich endlich meinen Schirm im Innenraum des Wagens verstaut, neben dem Fahrer Platz genommen und den Sicherheitsgurt angeschnallt.
»Pünktlich auf die Minute!«, lobte ich ihn.
Wenn er schon ein normaler Taxifahrer war, ohne Spezialauftrag, mich vor der Witterung zu schützen, wollte ich ihm wenigstens das Gefühl geben, dass ich seine Berufsauffassung zu schätzen wusste.
Ich saß abfahrbereit im Auto, blickte nach vorn durch die Windschutzscheibe, registrierte den Regen etwas verschwommen – auch weil ich die Brille nicht aufgesetzt hatte – und wartete, dass er losfuhr. Doch nichts geschah. Reglos schaute er auf den Regen, der vom Himmel herunterprasselte. Die Scheibenwischer standen still. Das Wasser floss in Strömen, kleine Schlieren bildend. Warum startete er den Wagen nicht? Ich sah zu ihm hinüber.
»Wohin geht’s?«, fragte er, ohne den Kopf zu wenden.
Entgeistert starrte ich ihn an, ehe ich meine Sprache wieder fand. »Zum Gericht. Ich dachte Sie wüssten das?«
»Welches Gericht meinen Sie?«
Hatte man ihm denn gar nichts gesagt?
»Ich dachte, Sie haben den Auftrag ...«
»Ich habe nur den Auftrag erhalten, Sie um 7 Uhr 10 hier abzuholen.«
Jetzt nur nicht nervös werden. Ich fischte nach der Dispo in meiner linken Jackentasche, froh, dass ich sie dabei hatte. Da musste es ja draufstehen. Erst als
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