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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Rettung. Dennoch musste ich mit jemandem darüber reden. Vielleicht war es nur das letzte Klammern an einen Strohhalm, aber vielleicht wird er auch von mir ablassen, wenn wir zu zweit sind. Keiner kann sagen, wie er reagieren wird.«
    Es wurde ruhig in meinem Kaminzimmer, sehr ruhig. Man hätte wahrscheinlich das Fallen einer Stecknadel gehört, aber auf jeden Fall das Ticken der Uhr in der Küche, zwei Zimmer weiter. Und unser Atmen. Es war das Atmen zweier Psychopathen, die kurz davor waren, vollkommen durchzudrehen. Ich war mir sicher, dass ich noch an Ort und Stelle den Verstand verloren hätte, wenn ich nicht aufgestanden wäre, um etwas zu sagen. Ich weiß nicht mehr warum, aber ich bot ihm an, für einige Zeit bei mir zu wohnen. Obwohl ich zuerst nicht glaubte, dass er mein Angebot annehmen würde, sagte er überraschend schnell und enthusiastisch zu. Für einen kurzen Augenblick wich die Resignation echter Freude. Ich konnte durch den Schleier aus Angst, Einsamkeit und Panik den richtigen Jack Wagner sehen; einen jungen Mann, mit dem ich sehr wohl eine lebenslange Freundschaft hätte eingehen können, wenn da nicht diese speziellen Umstände gewesen wären.
    Es würde zu weit führen, die nächsten Tage ausführlich zu beschreiben. All diese kleinen Dinge, die passierten, wenn man plötzlich mit einem fremden Menschen zusammenlebte; manche banal, andere einschneidend. Die Anfälle von Panik, unter denen Jack litt, und die vielen schlaflosen Nächte, wenn er wie ein Geist im Haus umherirrte und mich wach hielt, weil er Angst vor dem Alleinsein hatte. Aber alles in allem kamen wir überraschend gut miteinander aus, obwohl ich ehrlich zugeben musste, dass es mir in den ganzen Wochen, die er bei mir lebte, nie mehr gelungen war, den Schleier dunkler Wolken, der ihn stets zu verhüllen schien, zu lüften. Vielmehr hatte ich den Eindruck, als wäre er langsam auf dem besten Wege das Schicksal, welches er für sich als auserkoren ansah, zu akzeptieren. Und jeder, der schon einmal über sich selbst erfüllende Prophezeiungen gehört hatte, wusste, was für fatale Folgen solch eine Handlungsweise haben konnte. Die ersten Tage verbrachte ich mit beinahe hilflosen Versuchen, ihn aus seiner Angst und Lethargie zu reißen. Ich schlug Ausflüge vor, sogar ein gemeinsames literarisches Projekt.
    Aber sein Enthusiasmus währte nur kurz und war schon bald gar nicht mehr zu entflammen. Sorge wich zunächst Ärger, doch bald stumpfte ich ab gegen die Anfälle meines Gastes, gegen die Visionen aus der Welt hinter dem Spiegel, wie er sie hartnäckig nannte. Ich wusste nicht mehr, wann es war – vielleicht im vierten Monat unserer Hausgemeinschaft –, als ich begann die Tür vor ihm zu verschließen, sobald die Sonne im Meer verschwunden war.
    Irgendwann war es wieder einmal besonders schlimm mit ihm. Ein ungewöhnlich kalter, langer und depressiver Tag lag über Stadt. Ein Tag, an dem die Menschen mit gesenkten Köpfen durch die Fußgängerzonen huschten, nur mehr Kinder sich an Schaufenstern erfreuten und jeder, der nicht unbedingt musste, keinen Fuß über die Türschwelle setzte. Mein Haus, sonst ein warmer behaglicher Ort, schien kaum angenehmer zu sein, als der bleigraue Himmel über uns. Sogar die Vögel weigerten sich aufzusteigen und blieben in den Bäumen, wo sie zusammenkauerten und warteten. Ich verbrachte den ganzen Tag in meinem Arbeitszimmer vor dem Bildschirm, doch die Worte, die sonst so mühelos flossen, wollten mir nicht einfallen. Irritiert und auch ein wenig beunruhigt verfolgte ich durch das Fenster den Lauf der Sonne. Aber auch dieser Anblick, sonst bunt und immer wieder eine Erfrischung meine Seele, erschien sonderbar fahl und grau. Eine seltsame Energie lag in der Luft.
    Jack riss mich aus den trüben Gedanken, als er mehrmals an meine Tür klopfte und versuchte, mich dazu zu bringen, sie für ihn zu öffnen. Aber ich wollte hart bleiben – zu seinem Besten. Keines seiner Argumente vermochte mich zu erweichen. Schließlich zog er auch wirklich unter lautem Gejammer ab und schlich durchs Haus, von einem Zimmer zum anderen. Es ist schon sonderbar, wie laut Schritte in einem vollkommen ruhigen Haus klingen, wenn man sich auf nichts anderes konzentrierte. Als ich schließlich einschlief, wurde ich von seltsamen Albträumen geplagt.
    Ich träumte, dass ich in einem dunklen Gang stand. Ich kannte den Gang: Es war mein Elternhaus, an einem weit entfernten Ort, den ich seit mindestens fünfzehn Jahren nicht

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