STYX - Fluss der Toten (German Edition)
geschlachteten Tiere sortieren musste. Doch es war der Sohn meines Herrn, der mich ganz ausdrücklich für dieses Fest angefragt hatte.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Es raste vor Nervosität, vor Panik ...
Ich wollte nicht auf diesem Fest dienen. Lieber würde ich hundert Töpfe bis zum Glänzen polieren. Es behagte mir nicht, wie der junge Herr mich ansah. Und Fynn ... seit Wochen hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er war viel auf den Ländereien unterwegs, musste für den Herrn Botengänge machen und arbeitete in den Stallungen. Ich vermisste ihn ganz schrecklich.
Während des ganzen Festes spürte ich den Blick des jungen Herrn auf mir liegen und mich an den Boden nageln. Mein Körper bebte vor Panik und Unbehagen, ich musste mich unheimlich darauf konzentrieren, was ich tat. Ich durfte es mir nicht noch mehr mit Hedda verscherzen ... immerhin erledigte ich immer noch Strafarbeiten für meinen Fehler auf dem letzten Fest.
Und doch blieben Fehler nicht aus. Ich ließ hier einen Teller fallen und verschüttete da die Suppe. Und jedes Mal setzte es eine Ohrfeige. Außerdem hatte ich irgendwie das Gefühl, dass der junge Herr es genoss, mich so wahnsinnig zu machen. Ob er wohl dachte, er mache mich nervös, weil ich ihn toll fand? Es war mir eigentlich egal. Ich wollte nur, dass er aufhörte und mich in Ruhe ließ!
Als das Fest endlich beendet war, empfing mich Hedda mit einem Putzeimer. »So du hast heute so viel verschüttet, das darfst du auch gerne selbst wegwischen!«
Mit hängenden Schultern trottete ich zurück in den großen Raum. Meine Füße schmerzten vom langen Stehen und mein ganzer Körper fühlte sich erschlagen an. Ich war einfach nur froh, wenn der Tag endlich beendet war.
Der Raum war vollkommen leer. Laut hallten meine Schritte auf dem Marmorboden wider. Die langen Tafeln standen noch voller Teller, großen Platten und Gläsern. Und ich hatte keinerlei Hilfe ...
‚Bis ich damit fertig bin, brauch ich gar nicht mehr ins Bett zu gehen’, dachte ich erschöpft, schüttelte den Kopf und machte mich an die Arbeit.
Ich war derart in mein Tun vertieft, dass ich die Schritte nicht hörte, die sich auf mich zu bewegten.
»Du musst doch müde sein ...«, hörte ich plötzlich eine Stimme dicht neben meinem Ohr.
Ich zuckte zusammen, wusste genau, wer hinter mir stand. Ich musste mich nicht umsehen.
Auch wenn ich es gewollt hätte, ich konnte mich nicht bewegen. Mein ganzer Körper schien zu einem Eisklotz erstarrt zu sein. Mir wurde übel, als ich seinen Atem dicht auf meiner Haut und seine Hände auf meinem Körper spürte.
Doch dann hörte ich Schritte, die sich hastig näherten, hörte ein Zischen in der Luft. Ein Stöhnen. Die Hände ließen von mir ab. Ängstlich sah ich mich um und blickte in die sanften Augen meines Bruders, die mich seltsam ansahen.
Mein Blick wanderte zu Boden. Vor mir lag der junge Herr ausgestreckt auf dem Boden, eine rote Lache, die sich immer mehr ausweitete. In Fynns Hand ein blutgetränktes Messer.
»Was hast du getan ...?« Meine Stimme glich einem kratzigen Flüstern. Doch er antwortete nicht. Wir hörten laute Stimmen, die näher kamen. Dann schien Fynn aus seiner Starre zu erwachen. Fest schloss sich seine Hand um meinen Arm. Er zog mich mit sich, durch den Dienstbotengang, der ins Freie führte. Wir liefen immer schneller, immer weiter ins Ungewisse.
*
»Wach auf, Mädchen!«, weckte mich die raue Stimme des Fährmannes.
Schlaftrunken rieb ich mir die Augen.
Wie lange hatte ich bloß geschlafen?
Als der Schleier von meinen Augen verschwunden war, konnte ich erkennen, dass wir an einem Ufer angekommen waren. Wir hatten den Styx überquert. Ich blickte zurück, konnte das andere Ufer aber nicht erkennen. War der Fluss wirklich so breit oder war das ein Trugbild? Ich konnte es nicht sagen.
»Weiter kann ich dich nicht bringen. Den Rest des Weges musst du alleine bestreiten.«
Ich nickte stumm, als der Fährmann mich in Richtung Ufer stieß. Noch einige Zeit sah ich ihm hinterher, wie er und sein Boot immer kleiner wurden und dann am Horizont verschwanden.
Langsam machte ich mich auf den Weg. Fynn zählte auf mich!
Dumpf hallten meine Schritte auf verbrannter Erde wider. So weit das Auge reichte konnte ich keine einzige lebende Pflanze entdecken. Das einzige, worüber ich alle paar Schritte stolperte, waren Steine; große und kleine, in allen Grau-, Schwarz- und Rottönen. Immer wieder fluchte ich, wenn ich an einem solchen hängengeblieben war.
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