Sub Terra
Mutter war. Er schrie sie an, seine Stimme war ein Schilfrohr im Wind. Dieses Mal hörten sie ihn und drehten sich um. Er öffnete den Mund, um seine Warnung zu wiederholen, als er sah, was hinter den Schleiern hervorschaute. Keine Gesichter! Schädel. Gelbe, vom Sand glatt gescheuerte Knochen blickten über die schwarzen Schleier. Aus den Falten der Umhänge kamen Skeletthände hervor, die nach ihm griffen. Er stolperte rückwärts in den Sturm hinein. Ein Schrei blieb ihm im Hals stecken.
Als ihn die ganze Wucht des Sturms traf, fuhr Khalid aus seinem Traum hoch, verwirrt, dass ihm das Grollen gefolgt war. Zuerst hockte er noch zusammengekauert in seinem Schlafsack, bis er begriff, dass das Grollen vom Wasserfall herrührte. Er schluckte schwer und hatte das Gefühl, seine Kehle wäre voller Sand. Mit einem Ruck stieß er sich aus dem Schlafsack und griff nach der Wasserflasche. Sie war fort. Er schoss in die Höhe.
Mit einem Blick auf die leeren Schlafsäcke, die wie abgelegte Schlangenhäute aussahen, erkannte er, dass sie ihn hinters Licht geführt hatten. Er verfluchte sie und hob seine Pistole, als erwartete er einen Angriff. Suchend schaute er herum. Keine Spur. Er blickte zu der Öffnung in der fernen Wand, aus der sich nur noch ein dünner Rauchfaden kringelte. Zumindest wusste er, wohin sie gegangen waren.
Mit dem Fuß sichtete er die Überbleibsel, die sie zurückgelassen hatten. Alle Laternen waren weg, die Batterien auch. Er hatte kein Licht.
Khalid griff in die Hosentasche und holte sein Feuerzeug hervor. Er schnappte es mit dem Daumen auf, und eine Flamme schoss in die Höhe. Mit diesem Feuer würde er seinen Weg finden.
Er presste die Lippen zu einem entschlossenen Lächeln zusammen. Er würde es ihr schon zeigen. Bald würde sie seinen Zorn zu spüren bekommen und ihn um Vergebung anbetteln.
Wie der schwarze Sturm in seinem Traum wäre er ohne Gnade und nicht aufzuhalten.
24
ASHLEY GING EINEN Schritt zurück und fragte sich, ob ihr Gehör ihr einen Streich spielte. Wieso sprach dieses Wesen ihre Sprache? Das musste Zufall sein, eine gebräuchliche Abfolge von Lauten, die versehentlich mit einem englischen Wort übereinstimmte.
»Tod«, wiederholte der weißhaarige Alte, zeigte mit dem Stab auf sie und schüttelte ihn heftig vor ihrem Gesicht, als wollte er ihr die Bedeutung einbläuen. Dann setzte er seinen Stab wieder auf den Boden, stützte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf und ließ die Schultern traurig hängen. »Dobori dobi!«, sagte er schließlich mit trauriger Stimme.
Bei diesen Worten schnappten alle Anwesenden hörbar nach Luft, und Unruhe kam auf. Die wenigen neugierigen Zuschauer, die sich noch um sie gedrängelt hatten, suchten das Weite, verschwanden in ihren Höhlen und zogen eilig den Vorhang vor den Eingang. Keiner lugte mehr hinter einer Ecke hervor.
Nur noch eine verstreute Gruppe kleiner Wesen war übrig geblieben – die mit Diamantspeeren bewaffneten Jäger. Und selbst diese scharrten unruhig mit den Füßen.
Ben neben ihr sagte: »Ash, wir bekommen Ärger.«
Sie blickte ihn an. Seine Augen waren riesengroß. »Ben«, flüsterte sie und fühlte sich von den Wesen beobachtet, »was sollen wir tun?«
»Wie soll ich das wissen? Du bist die Anthropologin.«
»Vielleicht sollten wir …« Ashley wurde durch ein Geräusch unterbrochen, als der Alte den Stab fest auf den Boden stieß und ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Dobori dobi!«, dröhnte er und zeigte mit dem Finger auf Ben. Dann drehte er sich um und humpelte davon.
»Warte!«, rief Ben.
Der Alte wandte sich um und sah ihn an. Es kostete ihn Anstrengung. Offenbar war er erschöpft, hustete keuchend und hatte Mühe, sich mit seinem Stab aufrecht zu halten.
Mit großen, feuchten Augen starrte er Ben an. Er hob einen Finger, berührte damit die Spitze seines Ohrs und senkte dann den Finger auf die Höhe des Musters auf seiner Brust, genau über seinem Herzen. Dann drehte er sich um und hinkte über den kahlen Felsboden durch einen Höhleneingang.
»Ash, kannst du dir darauf einen Reim machen?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Er wollte uns etwas mitteilen. Nur was?«
Sie schluckte heftig und versuchte, den Klumpen in ihrem Hals loszuwerden. Sie schaute sich suchend um. Nichts. Sie und Ben standen am Rand des gelben Felds. Die Felswand mit den Behausungen umgab sie in einem Halbkreis. Sie ließ den Blick noch einmal schweifen und zählte zehn Wachen, die im Freien geblieben waren und an den
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