Sub Terra
eine Idee.
Noch überlegte sie, aber sie hatte nicht viel Zeit, und das Risiko war groß. Verzagt biss sie sich auf die Unterlippe. Sie beobachtete, wie Jason lachte, als Blakely etwas zu ihm sagte. Im Licht des Schimmelpilzes konnte sie erkennen, wie Jasons Augen strahlten. Strahlten vor jungem Leben, einem Leben, das zum größten Teil noch vor ihm lag.
Sie schloss die Augen und besiegelte ihren Plan. Sie konnte es schaffen. Nein, sie würde es schaffen. »Okay, wir brechen heute Nacht auf«, sagte sie entschlossen.
Während Linda nur so tat, als schliefe sie, waren Blakely und Jason wirklich eingeschlafen, zugedeckt mit ihren Ersatzdecken. Blakely schnarchte und gab dabei ein pfeifendes Gurgeln von sich, das man sogar trotz des Wasserfalls hörte. Linda behielt durch ihre fast geschlossenen Lider Khalids Profil im Auge. Er saß, halb in seinem Schlafsack, an einen Felsblock gelehnt. Sie wartete, sah, wie ihm das Kinn auf die Brust fiel und er es wieder hochriss, als er merkte, dass der Schlaf ihn fast übermannte. Fast.
Linda hatte Khalid dazu überredet, doch ein wenig zu schlafen, und das mit ihrer Erschöpfung begründet. Nur zwei Stunden Schlaf, hatte sie gebettelt. Genug, um Energie für den nächsten Abschnitt ihrer Reise zu sammeln. Er hatte eingewilligt. Dann hatte sie heimlich mehrere Tabletten, die man ihr gegen die Klaustrophobie verschrieben hatte, in Khalids Wasser aufgelöst und darauf geachtet, dass er es austrank. Der starke mineralische Geschmack des hiesigen Wassers verdeckte den der Tabletten. Sie würden ihn nicht umhauen – sie hatten nur eine geringe sedative Wirkung –, aber in dieser Anzahl sollten sie ihn so schläfrig machen, dass er früher oder später beim Wachehalten einnicken musste. Das war alles, was sie wollte.
Sie sah, wie sein Kinn wieder auf seine Brust fiel. Dieses Mal blieb es dort.
Das Blut dröhnte in ihren Schläfen, während sie angespannt in ihrem Schlafsack, der nahe genug bei Khalids lag, lauschte, ob sein Atem in einen regelmäßigen Rhythmus überging. Sie wusste, dass ihr nicht viel Zeit blieb.
Mit quälender Langsamkeit stieg sie aus ihrem Schlafsack. Glücklicherweise verschluckte der Lärm des Wasserfalls die Geräusche ihrer Bewegungen.
Sie schlich an seine Seite, nahm seine Laterne und seinen Helm von einem Felsen nebenan. Ursprünglich wollte sie seine Pistole entwenden, aber er hatte sie in den Schlafsack gesteckt und war darauf eingeschlafen. Sie ihm wegzunehmen wäre jetzt zu gefährlich.
Daher hatte sie den Ersatzplan in Angriff genommen. Sie entfernte die Batterien aus seiner Laterne und seinem Helm. Seine Waffe mag er behalten, dachte sie, aber wir wollen mal sehen, ob er ohne Licht etwas ausrichten kann.
Nachdem sie das erledigt hatte, wandte sie sich dem schlafenden Blakely zu. Sie legte ihre Hand auf seinen Mund und drückte heftig zu, als er erwachte. Sie beugte sich über ihn, legte einen Finger auf ihre Lippen und bedeutete ihm zu schweigen. Nachdem er den Schreck überwunden hatte, nahm sie die Hand von seinem Mund und machte ein Zeichen, dass er ihr folgen sollte … leise. Sie führte ihn mehrere Meter weit weg.
Als sie weit genug gegangen waren, drückte sie ihre Lippen an sein Ohr und hoffte, dass ihre Worte vom Rauschen des Wasserfalls gedämpft würden. »Wir müssen uns fortschleichen. Jetzt. Sind Sie in der Lage dazu?«
Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Ja, aber warum denn? Was ist los?«
Sie berichtete kurz, was vorgefallen war und wie sie zu ihnen gefunden hatten. Als sie damit fertig war, zitterte ihre Stimme.
Blakelys Augen waren während ihrer Geschichte immer größer geworden. »Dieses Schwein! Ich hätte nie geglaubt … Mein Gott, das war mein Fehler. Ich hätte ihn gründlicher überprüfen lassen müssen. Verflucht, bin ich naiv gewesen. Bei allem!«
Der Wissenschaftler sah Jahrzehnte älter als noch vor einer Woche aus. Tief liegende Augen, hängende Schultern, sogar seine Haare schienen grauer geworden zu sein. Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Wir müssen jetzt Jason holen und uns davonstehlen.«
Er schüttelte den Kopf. »Warum überfallen wir ihn nicht und nehmen ihm die Pistole ab? Oder schnappen uns einen großen Stein und erschlagen ihn?«
»Er ist ein ausgebildeter Mörder. Eine Killermaschine.« Sie konnte die Angst in ihrer Stimme nicht verbergen. »Wir sind ihm nicht gewachsen. Wenn wir ihn angreifen und nur verletzen, sind wir tot. Es ist am sichersten, wir laufen einfach fort.
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