Substance-Die Formel
vom Blitz getroffen schnellte Bern zurück, griff nach Wards Handgelenk und drehte die Waffe zur Decke. Aus dem Augenwinkel sah er seinen Komplizen, schussbereit. Lobec wollte vermutlich nicht feuern, solange sie noch nicht im Besitz der gewünschten Information waren. Bern versuchte, die Waffe mit der anderen Hand aus Wards Griff zu lösen, aber sein verzweifeltes Opfer hielt sie hartnäckig umklammert.
Ward versuchte, auf Berns Gesicht zu zielen. Der machte jedoch eine abwehrende Bewegung, als Ward abdrückte. Ein ohrenbetäubender Knall hallte in dem Zimmer wider, und ein Stück des Deckenputzes traf Ward, bevor Bern ihn herumriss und gegen die Wand presste. Dabei drückte er Wards Arm nach unten, hielt sein Handgelenk fest und versuchte mit der anderen Hand, ihm die Pistole zu entwinden. Ein weiterer Schuss ertönte, die Waffe fiel polternd zu Boden.
Bern hob sie auf. Ward ließ es mit schmerzverzerrtem Gesicht geschehen. Ein roter Fleck breitete sich auf seiner rechten Schulter aus, aber es war seine linke Schulter, die heftig pochte. Ein unerträglicher Schmerz drang bis in seine Brust. Mit den Augen suchte er nach der Ursache dafür. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es war der Herzinfarkt, den Caroline ihm schon lange vorausgesagt hatte. Rauchen, fettes Essen, kein Sport. Seit Jahren hatte sie ihn davor gewarnt. Nun würde der Infarkt verhindern, dass Tarnwell sich seine Entdeckung unter den Nagel reißen konnte. Er wollte lachen, brachte aber nur ein schwaches Gurgeln zustande, stolperte einen Schritt vorwärts und fiel auf die Knie. Bern trat zur Seite. Ward kippte langsam zu Boden. Er sah auf. Sein Gesichtsfeld verengte sich. Wie durch einen Tunnel sah er Lobecs Auge dicht vor sich. Lobec schüttelte ihn und sagte etwas. Obwohl seine Stimme ihm nicht mehr gehorchte, nahm Ward wahr, dass er antwortete, verstand aber selbst nicht mehr, was. Lobec drehte suchend den Kopf. Vor dem Bildschirm hielt er inne. Das Letzte, was Ward in seinem Leben sah, war der Satz: Gesendet an N. Kevin Hamilton.
ZWEI
Kevin knallte die Wohnungstür zu und rannte zu seinem Auto. Währenddessen zog er noch schnell eine Mütze über sein nasses, ungekämmtes Haar und stopfte die Brieftasche in seine Shorts. Die Schnürsenkel seines offenen Schuhs schlugen ihm gegen den Knöchel. Er band sie nicht zu, denn wenn er es nicht in zwanzig Minuten bis zum Campus der South Texas University schaffte, würde er einpacken können.
Beim Abtrocknen nach dem Duschen war ihm eingefallen, dass er nachsehen sollte, ob auf seiner E-Mail-Adresse an der Uni Nachrichten eingegangen waren. Gleich die erste ließ ihn erstarren. Er las sie noch einmal, um sich zu vergewissern, und wählte dann sofort die Nummer am Ende der E-Mail. Da er nur eine Mailbox erreichte, druckte er die Nachricht aus und zog währenddessen an, was ihm gerade in die Hände fiel. Das langärmelige Hemd mit dem Button-Down-Kragen passte wie die Faust aufs Auge zu seinen Trainingsshorts und Tennisschuhen, aber wie er aussah, war ihm egal. Seine Kommilitonen liefen oft weit schlimmer herum.
Er sprang in seinen Mustang und warf den Ausdruck auf den Beifahrersitz. Als er den Zündschlüssel ins Schloss steckte, legte er die andere Hand aufs Steuer, zuckte aber sofort wieder zurück, so sehr hatte die Sonne das Leder aufgeheizt, obwohl es schon September war. Er umfasste die untere, kühlere Hälfte des Lenkrads und ließ den Wagen an.
Der Motor sprang an, hustete ein paar Sekunden und verstummte wieder. Kevin fluchte leise. Seit neun Jahren fuhr er diesen Wagen. Er hatte ihn als Schüler bei einem Radio-Wettbewerb gewonnen. Die ersten beiden Jahre hatte er die Erfüllung seines Teenagertraums in vollen Zügen genossen, aber danach fing der Ärger an. Eins nach dem anderen versagten das Schloss der Heckklappe, die Tankuhr, das Alarmsystem und der Griff am rechten Fenster. Seit Neuestem sprang der Motor nicht mehr verlässlich an. Wäre er nicht so knapp bei Kasse gewesen, hätte er das Auto schon längst in die Werkstatt gebracht.
Beim nächsten Startversuch betete er lautlos. Der Motor erwachte stotternd zum Leben.
Mit einem lauten »Wer sagt’s denn!« schoss er davon.
Vor dem Sicherheitstor der Wohnanlage bremste er. Wenn er es eilig hatte, schien es noch langsamer als gewöhnlich zur Seite zu gleiten, aber alles in allem dauerte es normalerweise keine zehn Sekunden, bis es offen war.
Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und warf einen Blick auf die Uhr am
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