Succubus Blues - Komm ihr nicht zu nah
gestrichen voll. Ich hätte schon vor langer Zeit was dagegen unternehmen sollen.«
»Warum?«, fragte ich mich laut, nachdem ich die Beherrschung über meine Stimme zurückgewonnen hatte. »Warum hast du das getan? Ausgerechnet du, die von Engeln und Dämonen wusste … warum hast du den ganzen New-Age-Mist verkauft?«
Sie bedachte mich mit einem schneidenden Blick. »Ist es wirklich Mist? Ist es Mist, die Leute zu ermutigen, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu übernehmen, sich selbst als Quelle der Energie zu betrachten, statt sich in diese ganzen Schuldgefühle über falsch und richtig zu verstricken?« Als ich keine Antwort gab, fuhr sie fort: »Ich lehre die Menschen, dass sie selbst zu etwas fähig sind. Ich lehre sie, von Sünde und Erlösung zu lassen und zu lernen, Glück jetzt zu finden – in dieser Welt. Stimmt, einiges davon ist … ausgeschmückt, um Verwunderung und Ehrfurcht hervorzurufen, aber was spielt das für eine Rolle, wenn das Ergebnis erreicht wird? Die Menschen verlassen meine Seminare im Gefühl, Götter und Göttinnen zu sein. Sie finden das in sich selbst, statt sich an eine kalte, scheinheilige Institution zu verkaufen.«
Ich konnte nicht mal damit anfangen, eine Erwiderung zu formulieren, und ich verstand, dass Helena und Roman genau gleich dachten. Beide waren sie unzufrieden mit dem System, das sie hervorgebracht hatte, und beide rebellierten auf verschiedene Weisen dagegen.
»Ich weiß, was du von mir denkst. Ich habe gehört, was du von mir erzählt hast. Ich habe gesehen, wie du die Materialien weggeworfen hast, die ich dir an diesem Abend gegeben hatte, weil du mich zweifelsohne für eine verrückte, babbelnde New-Age-Bekloppte gehalten hast. Und trotzdem … für jemanden, die so selbstgefällig zuversichtlich ist, so kritisch selbstgerecht, bist du einer der unglücklichsten Menschen, der mir je begegnet ist. Du hasst das Spiel, und trotzdem spielst du es. Du spielst es, und du verteidigst es, weil du nicht den Mumm hast, etwas anderes zu tun.« Kopfschüttelnd kicherte sie trocken. »Ich muss kein Psychologe sein, um diese Prophezeiungen auszusprechen. Du bist begabt, aber du verschwendest deine Begabung. Du verschwendest dein Leben, und du wirst es erbärmlich und allein verschwenden.«
»Ich kann nicht ändern, was ich bin«, sagte ich hitzig zu ihr, weil ihre Worte schmerzten.
»Gesprochen wie eine Sklavin des Systems.«
»Verpiss dich doch!«, schoss ich zurück. Wird einem Stolz und Selbstverständnis zerschmettert, wird man oftmals auf irrationale Weise wütend, ungeachtet dessen, ob die Sache zutrifft. »Besser bequem als Sklavin als irgendein verrückter göttlicher Bastard. Kein Wunder, dass deine Art bis zur Auslöschung gejagt wird.«
Sie schlug mich erneut, dieses Mal unter Hinzufügung der Nephilim-Energie, ähnlich wie in jener Nacht in der Gasse. Es tat weh – ziemlich.
»Du kleine Hure! Du hast keine Ahnung, wovon du da sprichst!«
Sie wollte mich erneut schlagen, wurde jedoch von Seth daran gehindert, der sich plötzlich vor mich schob. »Hört auf damit!«, rief er. »Hört auf, ihr alle …«
Ein Energiestoß – ob von Roman oder Helena, wusste ich nicht – schleuderte Seth quer durchs Zimmer zur anderen Wand hinüber. Ich zuckte zusammen. »Wie kannst du es wagen …«, setzte Helena an, deren blaue Augen wütend blitzten. »Du, ein Sterblicher, der keine Ahnung davon hat, wovon …«
Ich war bereits in Bewegung, bevor die Worte noch aus ihrem Munde waren. Seths Misshandlung entfachte etwas in mir, eine wütende Reaktion, die von vornherein hoffnungslos war, die ich jedoch nicht unterdrücken konnte. Ich sprang Helena an und nahm dabei die erstbeste Gestalt an, die mir in den Sinn kam, zweifelsohne, weil ich zuvor Aubrey gesehen hatte: einen Tiger.
Die Verwandlung benötigte nur eine Sekunde, schmerzte jedoch höllisch. Mein menschlicher Körper dehnte sich aus, Füße und Hände wurden zu schweren, klauenbewehrten Pfoten. Ich hatte den Überraschungseffekt auf meiner Seite, aber nur einen Augenblick lang, als ich auf sie prallte und ihre zierliche Gestalt zu Boden warf.
Mein Sieg war kurzlebig. Bevor ich ihr die Zähne hätte in den Hals sinken lassen können, fegte mich eine Kraft wie ein Hurrikan in meinen Porzellanschrank. Der Aufprall war zehnmal heftiger als derjenige, der Seth und mich zuvor festgenagelt hatte, und der Schmerz riss mich in meine normale Gestalt zurück, während Glas und Kristall hinter mir zerbrachen und die
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