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Herrgottsfrühe aufbrechen müsse und erst am folgenden Tag spät wieder zurückkommen würde. Sie mussten mit dem Hubschrauber auf Inspektionstour in den Norden nach Hinlopen. Sie schaute ihn kurz an, sagte jedoch nichts.
Er ließ die Kopien auf dem Küchentisch liegen. In den folgenden Wochen kamen keine weiteren anonymen Briefe bei der Regierungsbevollmächtigten mehr an.
Frøydis schrieb seit vielen Jahren Tagebuch. Jetzt ließ sie es offen auf ihrem Nachttisch liegen, in der Gewissheit, dass ihr Mann nicht den Mut hatte, nachzuschauen, was sie über ihn schrieb. Sie war sich sicher, dass er davon ausging, dass sie über ihn schrieb, eingebildet wie er war. Aber dem war nicht so.
Sie war ein Ordnungsmensch. Sie hielt gern ihre Routinen ein, fühlte sich dadurch sicherer. Ihre Eintragungen begann sie immer auf einer leeren Seite. Zuerst schrieb sie das Datum, den Ort, an dem sie sich befand, wie das Wetter war und was sie zum Frühstück gegessen hatte. Anschließend, wie sie sich fühlte. Und welche Verabredungen sie für den Tag hatte, wenn sie denn welche hatte. Doch danach konnte sie frei schreiben. Hinter der gewissenhaften Beschreibung eines ordentlichen, langweiligen Lebens konnte sie die dahinter verborgene Wirklichkeit erforschen.
In letzter Zeit benutzte sie den Computer, den ihr Ehemann auf seinem Schreibtisch stehen hatte. Anfangs kam sie nicht mit dem Internet zurecht, aber sie hatte unter dem Vorwand, dass sie nach Strickmustern suchte, Trulte Hansen dazu gebracht, ihr zu helfen. Die Funde, die sie machte, wurden gewissenhaft mit runder Kringelschrift ins Tagebuch eingetragen. Str s chrieb sie. Doch das bedeutete nicht stricken. Ars , Zy , weitere Abkürzungen, die gut und gerne falsch verstanden werden konnten .
Mit der Zeit wurde sie mutiger. Die Lust, ins Buch zu übertragen, was sie im Netz fand, wurde größer. In gewisser Weise wurden die grauenhaften Schilderungen Teil der Wirklichkeit, wenn sie sie mit ihrer eigenen Handschrift in ihr eigenes Tagebuch übertrug. Es wurde Realität, dass sie, Frøydis, Arsen in den Kaffee gekippt und dann zugesehen hatte, wie diese Person auf diese hässliche Art und Weise starb. Doch niemand konnte wissen, dass sie es war, denn sie bewegte sich wie ein Schatten zwischen den anderen. Sie konnte gehen, wohin sie wollte. Allein und unsichtbar. Aber sie hatte die Macht, jemanden zu töten, wenn sie wollte. Zumindest in der Welt ihrer Gedanken.
Natürlich war ihr klar, dass es reine Fantasie war. Es wäre sicher nicht möglich, auf Spitzbergen Arsen zu besorgen und schon gar kein Zyankali. Doch sie suchte weiter im Netz, las und schrieb in ihr Tagebuch und fühlte sich auf sonderbare Art und Weise warm und zufrieden und lächelte Erik Hanseid an, der fast jeden Tag Überstunden machen musste.
Eines Tages stolperte sie über eine Notiz in einer Zeitung. Es musste das Dagbladet gewesen sein, denn der kleine Artikel wurde begleitet von einer doppelt so langen Beschreibung, was zu tun sei, wenn das Unglück geschehen war. Die Dame hatte Ätznatron getrunken. Es wurde keine große Nummer in der Zeitung daraus gemacht, es sah fast so aus, als könnte jeder Mal aus einem verzeihlichen Irrtum heraus Ätznatron trinken. Aber Frøydis lächelte nur, sie wusste es besser. Da stand, dass man anschließend Milch trinken sollte, das würde helfen. Es stand auch da, dass das Natron brannte und Gewebe verätzte und dass der Unglückliche große Schmerzen haben würde. Aber in kleinen Mengen war es nicht tödlich.
Frøydis ging davon aus, dass es nicht so schwer sein dürfte, Ätznatron zu bekommen. Es gab gute Gründe, es zu kaufen. Einen verstopften Abfluss zum Beispiel. Zu viele Essensreste im Küchenspülbecken. Oder Haare in der Dusche im Bad. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass Leute aus Versehen eine ätzende Flüssigkeit tranken. Dazu musste man schon ein wenig nachhelfen.
Frøydis schrieb mehrere Abende hintereinander emsig in ihr Tagebuch. Datum, Wohnung 226-8, Wetter, dass es kalt war, ein Schneesturm angekündigt war. Und sie dachte daran, dass Erik eine größere Tour mit dem Hubschrauber machen wollte, eine Inspektion in Nordaustland, die bereits mehrere Male verschoben worden war. Sie selbst hatte keine Termine. Aber sie war ja auch krank gewesen. Und sie fühlte sich noch nicht kräftig genug, um am Sonnenfestkomitee teilzunehmen. Außerdem musste sie überlegen, wo sie Ätznatron kaufen konnte. Es musste mit einer kalten Flüssigkeit vermischt
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