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werden. Milch? Nein, die würde die Wirkung ja aufheben. Cola? Das war es, genau. Natürlich Cola. In einer Halbliterflasche, die sie vorsichtig öffnete, damit nicht zu sehen wäre, dass sie bereits geöffnet worden war.
Auch wenn sie wusste, dass ihr Tagebuch von niemandem außer ihr selbst gelesen wurde, nannte sie keine Namen. Dazu hatte sie nicht den Mut. Solange sie keinen Namen aufschrieb, konnte sie das Ganze als peinliche Fantasie abtun. Aber sie stellte sich Krämpfe und heftige Schmerzen vor, Erbrechen und aufgerissene, blutunterlaufene Augen. Vielleicht sogar flehende heisere Hilferufe. Frøydis lächelte und schrieb. Dann überlegte sie, dass es wohl nicht so einfach sein würde, die Colaflasche so zu platzieren, dass niemand anderes aus ihr trinken würde. Trotz allem wollte sie ja keinem anderen Menschen etwas Böses. Zumindest vorläufig nicht.
Sie lief in der Stadt herum, schaute durch erleuchtete Fenster in Zimmer, in denen Menschen mit ihren Dingen beschäftigt waren, überlegte sich mögliche Gelegenheiten und fror, ohne es zu spüren. Oft ging sie den Weg an dem neuen Krankenhaus vorbei, der auch am Kindergarten entlangführte. Eines Abends sah der Arzt sie, als er seinen Dienst beendet hatte und in den Supermarkt wollte, um sich etwas zu essen zu kaufen. Er dachte, dass man keinen Doktortitel in Psychologie brauchte, um zu sehen, dass mit Frau Hanseid etwas nicht stimmte. »Es muss doch jemanden geben, der mal mir ihr reden kann«, bemerkte er aufrichtig besorgt Schwester Hannah gegenüber. »Sonst sitzen wir hier noch plötzlich mit einem Selbstmord da.«
Schwester Hannah schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, da ist nichts zu machen. Sie muss da selbst herausfinden. Und bald kommt ja das Licht wieder, dann ist Mitternachtssonne und Sommer. Und wie wir alle wissen – dann wird Spitzbergen ein ganz anderes Land. Das geht bestimmt vorbei. Außerdem wird ihr Mann ja wohl sehen, dass die Ärmste leidet, oder?«
»Glaubst du?« Der Arzt warf Hannah einen mitleidigen Blick zu. Sie hatte vor ein paar Jahren ihre eigenen Dämonen gehabt, mit denen sie hatte kämpfen müssen.
Frøydis fand keine Lösung, wie sie die Colaflasche an den richtigen Platz vor genau die richtige Person stellen könnte. Und es überraschte sie selbst, wie sehr sie das deprimierte. Sie lief herum. Sie schrieb. Sie überlegte und weinte fast aus Frustration und Erregung. Doch dann fiel ihr etwas anderes ein. Etwas, das nichts mit Gift zu tun hatte. Was anzusehen sie aber auch mit Genugtuung erfüllen würde.
KAPITEL 18
DURCH DAS EIS
Samstag, 27. Januar, 14.30 Uhr
Kristian und Lars Ove rauchten noch eine Zigarette hinter der verfallenen Forschungsstation, als sie die Lichter eines Hubschraubers direkt über sich entdeckten. Sofort machten sie sich bereit zur Abfahrt. Die drei Schlitten wurden hinter die Schneescooter gekoppelt, jetzt bis auf ein paar Kanister mit Treibstoff für die Rückfahrt leer.
»Die wollen tatsächlich landen.« Kristian zerdrückte die Kippe unter seinem Scooterstiefel. »Wir fahren die Felsspitze hoch. Bleib nur dicht hinter mir, dass du mich nicht aus den Augen verlierst.« Schnell lief er um die Station herum und riss die Tür weit auf. Sogleich bildete sich eine Schneewehe mitten im Raum. Zunächst überlegte er, den Herd auch noch mit Schnee zu füllen, aber der würde sowieso schnell abkühlen. Dann eilte er zurück zu den Scootern und startete.
Lars Ove fuhr direkt hinter ihm, so dicht, dass er fast auf Kristians Schlitten auffuhr. Der Felshang war sehr steil. Sie beugten sich über den Lenker und fuhren mit Vollgas geradeaus nach oben. Es kam darauf an, die Geschwindigkeit zu halten, damit sie nicht umkippten. Beim Speedfahren gab es nur ein Entweder-Oder, das wussten beide. Entweder, man erreichte in rasender Fahrt die Spitze und hoffte, dass dort Platz genug war, um den Schneescooter abzubremsen und nicht auf der anderen Seite gleich bergab zu rasen. Oder man kippte um, purzelte den Berg hinunter und musste Scooter und Schlitten aus dem Schnee graben. Im besten Falle.
Aber sie schafften es. Direkt auf der anderen Seite der Bergkuppe gab es eine kleine Senke hinter einem Felsen. Dort bremsten sie ihre Fahrzeuge, drehten den Zündschlüssel um und krochen an den Felsrand, um zu sehen, wie der Hubschrauber neben der Forschungsstation gleich unter ihnen landete.
»Klart es auf?«, fragte Lars Ove hoffnungsvoll. »Ich habe das Gefühl, dass ich weiter sehen kann.«
»Glaube ich nicht.«
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