Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
in einem Vorort Limas, der Hauptstadt Perus. Ich war mutig und blickte durchs Fenster, vor dem die Habenichtse der Umgebung vorbeischlurften. Einbeinig, einäugig, einseitig gelähmt, das Übliche. Die meisten kamen in Sack und Asche vorbei. Einer suchte nach seinen Flöhen.
Jetzt trat der Teufel ein zweites Mal auf und lenkte meinen Blick auf El Comercio , die Zeitung lag auf dem Nebentisch. »El otro Mundial«, die andere Weltmeisterschaft, stand auf der Titelseite und sofort begann ich zu lesen. Es ging um den Titanenkampf zwischen Nike und Adidas , um den Krieg zwischen den beiden führenden Marken, die jenen Sommermonat 2006 als ultimatives Schlachtfeld betrachteten. Während der eine nach Flöhen suchte, legten die beiden Direktoren gigantische Zahlen vor. Nike hatte im abgeschlossenen Jahr für insgesamt dreizehn Milliarden und siebenhundert Millionen Dollar Gummischuhe und Hemdchen verkauft, Adidas für zwölf Milliarden. Beide verhökerten im selben Zeitraum für jeweils hundertfünfundzwanzig Millionen ihre Fußball-Gummischuhe, weltweit. »Bedauerlich«, hieß es, denn allein in den USA wurden für zwei Milliarden und hundert Millionen Dollar Basketball-Gummischuhe über den Ladentisch geschoben. Beide Bosse haben geschworen, dass das alles anders werden soll, sprich, noch mehr Tröpfe gefunden werden müssen, die nur dann glauben, Fußball spielen zu können, wenn sie sich den Ring Nike oder den Ring Adidas durch die Nase ziehen lassen.
Ist das nicht eine Geschichte aus hochmodernen Zeiten? Eben eine von rastloser Gier und rastloser Gehirnwäsche? Träumen wir nicht alle davon, nach einem gesegneten Tagwerk mit dem erhebenden Gedanken ins Bett zu steigen, Weltmeister im Verschleudern von bunten Gummischuhen und bunten Leibchen zu sein? Wollen wir denn nicht alle noch raffgieriger werden, noch verdummter, noch nasenringbehängter? Oder wollen wir was anderes? Wollen wir nicht, wenigstens ab und zu, Aristoteles zuhören, der eines blau strahlenden Morgens vor 2400 Jahren auf dem Marktplatz von Athen stand und entzückt ausrief: »Noch nie sah ich so viele Dinge, die ich nicht brauche!«
DIE BEICHTE
Ich liebe es, mich auf Kosten der Einfältigen zu amüsieren. So habe ich mich oft vergnügt in den USA, aber am vergnüglichsten war es in Baton Rouge. Hier, in der Hauptstadt Louisianas, residiert einer der formidabelsten Scheinheiligen der westlichen Hemisphäre, hier wirtschaftet Jimmy Swaggart. Lügenbaron, Hurensohn, Multimillionär, Televangelist. Und »Auserwählter von Gottes Gnaden«. Sagt er, predigt er.
Um 9.55 Uhr betrat ich sein Family Worship Center , wie jeden Sonntag gab es hier ein Jimmy-Swaggart-Spektakel. Schlag zehn zog der Chor in Nachthemd und steifer Halskrause auf die Altarbühne, griffen sieben Musiker in die Instrumente, stimmten sich vier Vorsänger ein, liefen fünf Fernsehkameras, sprang Jimmy ans Mikrofon und jubelte mit veloursamtener Stimme hinauf in den Himmel: »I came to praise the Lord.«
Lange ging das, das Wimmern, das Jauchzen, das Jubilieren. Dann die Stunde der »deliverance«, der Erlösung. Und Swaggart, der schon zweimal von einem Konkurrenz-Prediger beim Knien hinter einer Hure erwischt worden war, bat alle Mühseligen und Beladenen nach vorne. Und alle Säufer, Junkies, Sexbesessenen, Fresssüchtigen und Schwerstbeladenen schnieften und schlurften Richtung Balustrade. Und der Welt erster Handaufleger bedeckte ihre Häupter. Untrügliches Zeichen, dass gerade der Heilige Geist einschwebte. Um 12.17 Uhr verebbten die letzten Weinkrämpfe himmlischer Ekstase, letztes Stammeln und Greinen. Die Schafsherde war entlassen. Ende.
Fast. Als Swaggart durch eine Seitentür verschwand, eilte ich hinterher und stellte mich ihm in den Weg. Demütig hatte ich seine Autobiografie mitgebracht, To cross the River , und bat um eine Widmung. Nachdem er jovial »To Andreas in Christ« hineingekritzelt hatte, fasste ich Mut und war ab sofort der Sünder, der sein erdrückendes Problem stammelte: »Sorry, Mister Swaggert, aber ich muss dauernd an nackte Frauen denken! Können Sie mir helfen?« Und Jimmy, der gottbegnadete Showman und Abzocker, lächelte nachsichtig (er weiß, wovon ich rede), legte seine warme Rechte auf meinen Kopf und wisperte unschlagbar ölig: »Lass uns beten. Auf dass der Heilige Geist diese Gedanken in die Hölle fahren lässt und sie niemals zurückkehren.« Bewispert und geölt wankte ich nach draußen.
Als jämmerlicher Versager. Denn der Teufel wollte,
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