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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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dass mir auf dem Parkplatz ein louisianisches Busenwunder entgegenkam. Mit einem asiatischen Lächeln. Ich Ferkel, hier stand ich und konnte nicht anders. Als bewundern. Doch Satanos war gnädig, zur Versuchung lieferte er eine kleine Erleuchtung gleich mit: dass weibliche Schönheit ewig irdisch wahr ist und jede himmlische Weissagung nichts als vorlaute Behauptung.

    FROHE OSTERN
    Wieder ein sinniges Ostern. Herr Ratzinger alias »heiliger Vater« alias »Stellvertreter Gottes«, hat abermals vom hübschen Vatikanbalkon aus zu uns gesprochen. »Christus ist auferstanden!«, so die erste Beteuerung. Dann noch manch anderer Satz, immer wieder frohlockend, dass der Herr tatsächlich dem Reich der Toten entstiegen ist.
    Im zweiten Teil der 1450 Wörter langen Rede sprach der Papst von denen, die noch immer tot sind, leierte – wie jedes Jahr – die Brandherde des Planeten herunter. Politisch korrekt wurde kein Desaster ausgelassen, die Salomon-Inseln, Simbabwe, Madagaskar, ganz Lateinamerika, Somalia, Libanon, der Kongo, Timor, Afghanistan, natürlich Darfur, natürlich der Nahe Osten, natürlich Irak. Ich habe mir übers Internet die Gesichter der »hunderttausend Gläubigen« auf dem Sankt-Peters-Platz angeschaut. Wer genau hinsah, wurde den Eindruck nicht los, dass wieder einmal die große Langeweile umging, dass das Fußvolk wieder einmal den Kopf woanders hatte als beim Geleier des Oberhirten. Der wieder einmal nichts Neues seinen Schafen zu bieten hatte. Nur immer Ankündigungen. Nie die Bestätigung einer Ankündigung. Nun, der Oberschafshirte glaubte die zweitausend Jahre lang abgestandenen Sprüche wohl selbst nicht, sagte er doch glatt: »Ein Gefühl des Erstaunens (über die Auferstehung) angesichts einer Tatsache, die zu überraschend ist, um wahr zu sein.« Wie wahr.
    Plötzlich fiel mir beim Blick über die riesige Schafsherde ein Tag in Nouadihibou ein. Ich wanderte durch die Slums der mauretanischen Küstenstadt. Schon von weitem war das Blöken von Achtjährigen zu hören, die typischen Geräusche einer Koranschule. Alles in Arabisch, nicht ein halbes Wort verstanden sie von dem, was man ihnen einbläute. Irgendwann schrieb der Lehrer den Kindern einen neuen Satz auf. Den sie wieder nicht lesen, wieder nur nachblöken konnten. (Schafe blöken weltweit.) Sicher das »Wort Allahs«, sicher »geweissagt zu Medina«. Keinen Strom, kein fließendes Wasser hatten sie hier, auch nichts, was Spuren von Geist verriet, nichts. Nur göttliche Sprüche, das schon. Zum Betäuben, zum Weiterblöken, zum Weiterdämmern.
    Eine Aufregung gab es jedoch, sie weckte auf, sie belebte die Sinne, sie war berückend und lehrreich. Hundert Meter weiter hing ein Plakat, der Hinweis auf einen Film, L’éducation anglaise , irgendein Softporno. Man sah auf dem Poster einen vollreifen Teenie, der in einer Badewanne saß. Ich verbarg mich hinter der nächsten Ecke und schaute zu. Nach einer Stunde war alles klar. Kein einziger Gottesfürchtiger ging vorbei (mancher hielt inne, wenn er sich allein glaubte), ohne einen sehnsüchtigen Blick auf die Siebzehnjährige zu werfen, wohl davon träumend, zu der »Ungläubigen« in die Wanne steigen zu dürfen. Um für einen halben Tag den Stuss vom Paradies zu vergessen und hier auf Erden das Wunder der Schönheit und Hingabe zu erfahren. Wieder soll Karl Kraus aushelfen, keiner fragte ketzerischer: »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« Für die meisten nicht einmal das.

    ZWEI EINSAME FRAUEN
    Ich werde bisweilen gefragt, wie ein Reporter die Bilder »verarbeitet«, denen er im Laufe seiner Tätigkeit begegnet. Nicht die Foto-Bilder, nein, die echten, die Direktaufnahmen von Mensch zu Mensch, von Angesicht zu Angesicht. Jene, die keine Kamera macht, sondern die sich direkt – direkt übers Auge – ins Hirn, ins Herz graben.
    Ich weiß nicht, wie andere es machen, ich jedenfalls verarbeite nichts. Die Gesichter und die dazugehörigen Leiber, meist ebenfalls geschunden, bleiben bei mir. Sie lassen nicht los, sie erinnern mich an das eigene Glück und das Unglück jener, die ein leichteres Leben nicht weniger verdient hätten als ich. Diese Erinnerungen tragen gewiss dazu bei, dass ich täglich fassungsloser auf die Welt blicke.
    Hier die Geschichte eines Bildes, das sich nicht verscheuchen lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein anderes in meinem »Archiv« gibt, jenem virtuellen Speicher unter der Schädeldecke, das es mit ihm aufnehmen könnte. Es entstand in Dhaka, der Hauptstadt von

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