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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Bauernfängern abliefern zu können.
    Doch auch dafür war ich dankbar, denn somit konnte ich ohne Gesichtsverlust meinen Banker erwähnen, mit dem ich noch Rücksprache halten müsste. Um ein paar Optionen und Hedgefonds zu verkaufen, sprich, die Finanzierung meiner Problemzone zu garantieren.
    Oh ja, das war eine Sternstunde aus meinem Reporterleben. Weil ich so gerissen fabulieren durfte wie die Schlitzohren, die mich ausnehmen wollten. Wir waren ebenbürtige Gegner. Mit drei opulenten Visitenkarten in der Tasche lief ich davon, winkend, strahlend, schwer beruhigt und Kisten voller Papiergeld versprechend. Zwanzig Schritte weiter landete ich wieder mitten in Old Delhi, dem Hexenkessel, dem Märchenland, der Irrenanstalt, der Umwelt-Todsünde, dem Gefilde der Seligen, Gottessüchtigen und Halunken. Schon beim nächsten Chai-Baba musste ich mich setzen. So glücklich war ich, so berauscht von der Leichtigkeit des Lebens. Ich schloss die Augen. Und war unsterblich. Ein paar Sekunden, ein paar Minuten.

    EIN MÄNNERHIRN BEI ANNÄHERUNG EINES FRAUENKÖRPERS
    Das Männerhirn als Autofokus-Kamera, in Bruchteilen von Sekunden vom Input zum Output. Allzeit bereit. Die Eitelkeit ruft, die Sehnsucht, das gefräßige Verlangen, nichts auszulassen. In rasender Geschwindigkeit wird das Objekt abgetastet und belichtet. Sofortentwicklung, Soforturteil: ja oder nein.
    Unser Kopf als Gigabyte-Festplatte, die jedes Mal wieder die Maße einer Frau speichert. Und auswertet. Momente zerebraler Schwerstarbeit, denn in Höchstgeschwindigkeit muss ein Ergebnis vorliegen. Die Frau als Lieblingsobjekt eines rastlosen Männerhirns, das wie der Pawlow’sche Hund darauf hofft, dass nach dem Klingelzeichen die Haut zum Vorschein kommt, sprich, der bloße Anblick einer Frau in ein seliges Abenteuer ausartet.
    Doch jetzt hagelt es Frustbeulen. Denn meist gehen wir stillschweigend an unseren Träumen vorbei. Von Lossprudeln keine Rede. Wer will sich schon verwunden im ganz konkreten Leben? Träume träumt man. Sie ausbreiten in der Wirklichkeit? Ach, wir Dünnmänner, wir Vollkasko-Athleten.
    Stopp: Das hier ist kein Plädoyer für den zügellosen Lümmel, der mit Vollgas in die nächste Frau fährt. Tapsige Grapscher, lieber nicht. Was freilich bedenklich stimmt, ist diese Nachlässigkeit im Umgang mit unseren Sehnsüchten, von denen wir so kleinlaut Abschied nehmen. Wir werden wohl vergehen an einer Überdosis Illusionen, erledigt von (virtuellen) Frauen, die unsere Köpfe bevölkern und dort oben – unnahbar – liegen bleiben. Als schönes Sperrgut. Uff, unser armer Leib, längst totbeschwichtigt von unserem geschwätzigen Hirn.
    Dabei gäbe es ein alle Glieder stärkendes Gegenmittel. Damit endlich das tatsächliche Leben anfängt. Hemingway hat es einmal erwähnt, als er davon sprach, dass es wohl besser sei, eine begehrenswerte Frau anzusprechen und von ihr in die Wüste geschickt zu werden, als stumm und blöd hinter ihr herzuglotzen. Die Erfahrung einer »Niederlage« sei schonender als das ins Fleisch schneidende Eingeständnis der eigenen Feigheit.
    Hey, das alles muss nicht sein, das Stummsein, Blödsein, Feigsein. Weil die Frau ja oft zusagt. Nicht alles, aber einen Anfang in Aussicht stellt, eine Möglichkeit, eine Ahnung. Vorausgesetzt, dass der Mensch, der ihr gegenübersteht, über Charme und Leichtigkeit verfügt, über die Gabe des Kopfverdrehens, des Herzverdrehens.
    Haben wir das einmal begriffen, wird unser Männerleben viel sinnlicher. Unsere zum Absterben verurteilten Kopfgeburten hörten auf und das Herzklopfen käme zurück. Zuletzt und allerwichtigst, aus einem Frauenkörper würde wieder ein kompletter Mensch. Wie gut das täte, gerade den Frauen: entspannte, witzige Männer, nicht auszudenken.

    PARIS UND ALLE PARISER
    George Bernard Shaw:
    Wir brauchen dringend einige Verrückte.
    Guckt euch an, wo uns
    die Normalen hingebracht haben.
    Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Magnum-Fotografen, der seit vielen Jahren in Paris lebt. »Lange Zeit schon«, sagte er, »mache ich keine Bilder mehr von der Stadt. Ich bin blind geworden, ich sehe sie nicht mehr.« Wenn er pensionsberechtigt ist, will er es wieder versuchen. Vielleicht entdecken dann seine Augen, was sie jetzt so hartnäckig übergehen.
    Schriftsteller leiden an einem ähnlichen Syndrom, eben der panischen Angst, nur abzuschreiben von jenen, die längst alles gesagt haben. Kein anderer Ort im Weltraum wurde inbrünstiger und millionenfacher besungen als

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