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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Bangladesch. Ich war mit Fotograf Uli Reinhardt gekommen, um eine Reportage über ein Phänomen zu schreiben, das in keinem Land so verbreitet ist wie hier: Abgewiesene Männer besorgen sich ein Fläschchen Säure – billig, leicht, lautlos – und schütten den Inhalt auf jene Frauen, die nichts von ihnen wissen wollen.
    Nur im Medical College Hospital , dem größten Krankenhaus, gab es eine »Burn Unit«. Der pompöse Name bezeichnete ein größeres Zimmer mit einer kaputt gerosteten Klimaanlage, zwei funktionierenden Ventilatoren, mit ein paar Hundert gefräßigen Fliegen und drei dumpf und abwesend dasitzenden Krankenschwestern. Hier dämmerten die Patienten mit den schweren, nein, den schwersten Verbrennungen. Die Unfallopfer, die Brandopfer, die Eifersuchts-Opfer. Eben jene Frauen, denen eine Säure-Attacke den Kopf, den Körper, das Leben verwüstet hatte. Acht Betten mit acht fleckigen Leintüchern für eine Bevölkerung von 128 Millionen. Zwei Ecken weiter stank die Toilette, fünf Schritte davor begann die Kotspur, um die Schüssel schwammen die Fäkalien. Der Abfluss sei verstopft, hieß es. Nicht, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, das Problem zu beheben. Er klemmte, insch’allah.
    Das Bild, das unfassbarste, entstand jedoch nicht in diesem Raum mit den lebenslänglich zur Trauer und zum Traurigsein Verurteilten. Entstand nicht im Thikana , einem privat gesponserten »Frauenhaus«, wo die aus dem Krankenhaus Entlassenen weiterzuleben versuchen. (Hinter verbarrikadierten Türen, da die Freier mit weiteren Attacken drohen.) Entstand nicht bei Naripokkho , einer von ausländischen Spenden finanzierten Organisation, die den Überlebenden hilft, einen Sinn für ihre Existenz zu finden, sie neu ausbildet, damit die Gedemütigten die nächsten fünfzig Jahre nicht als greinende Krüppelweiber durch Dhakas Abgasschluchten irren müssen. Entstand nicht in den Gesprächen mit den Mädchen und Frauen, die irgendwann doch die Nerven verloren und mit den Händen ihre zu rußschwarzen Halloween-Fratzen entstellten Gesichter bedeckten. Und haltlos zu schluchzen begannen, wieder einmal überwältigt vom Verlust dessen, was einmal jung und schön war.
    Das eine, das eine unvergessliche Bild entstand im Hinterhof des Medical College Hospital . Dort lag die Waschküche. Finstere sechs Quadratmeter mit einer abgewetzten Wanne voll chemisch gereinigten Wassers. Zur Säuberung der Wunden. Zuerst kam Asma, die Fünfundzwanzigjährige, im achten Monat schwanger. Sie musste gestützt werden. Brandspuren, jede handbreit, zogen über ihr Gesicht, ein Brandherd lag über ihrem Oberkörper. Wie soll dieser entstellte Bauch je das Kind gebären? Ich hatte sie in den letzten fünf Tagen vieles gefragt, nur das nicht. So viel Konfrontation mit der Wirklichkeit wollte ich ihr nicht zumuten. Asma hatte immer geflüstert, mehr Kraft konnte sie nicht mobilisieren. Ihre Geschichte war anders: Ehemann Rashid forderte immer mehr »dowry« von ihrer (ärmlichen) Familie, mehr Aussteuer. Forderte mit Worten, mit Prügel, zuletzt zwang er sie auf die Knie, versuchte mit Gewalt, ihr eine volle Ladung Säure in den Mund zu schütten. Doch Asma wehrte sich in Todesangst, bäumte sich auf, die hundert (!) Milliliter landeten auf ihrer Haut.
    Das Bild ist noch nicht vollständig. Popy wurde in die Waschküche geführt. Die Zwanzigjährige hatte früher als Küchenhilfe in einer Privatklinik gearbeitet. Seit drei Monaten war sie eine Ruine mit einem Kopf aus der Hölle, ein eraser head . Ihre heutige Blindheit hatte zumindest den Vorteil, dass sie das Entsetzen derjenigen nicht sah, die ihr gegenübertraten. Mehr als ein Drittel der linken Gesichtshälfte war weg, weggeschmort. Wo sich früher Wange und Auge befanden, pappte jetzt eine dunkelbraun vernarbte Kruste, wie verschorftes Wellblech. Das linke Ohr war zu einer Warze verkommen, irgendwo bewegten sich die bizarr auseinandergetriebenen Lippen. Bis der Blick des Betrachters die verbrannten Schultern erreichte, den verheerten Torso, die weggeätzten Brüste. Vielleicht würde die fünfte Operation einen Teil der Sehkraft des rechten Auges retten. »Maybe«, so der Arzt.
    Popys Leben war vor drei Monaten abgestürzt, in ein, zwei Sekunden. Nach der Arbeit bestieg sie eine Rikscha, um nach Hause zu fahren. Popy war verheiratet, Mutter einer zweijährigen Tochter. Zudem bildhübsch und seit längerer Zeit der Traum eines jungen Kerls, der sie bedrängte, ja jagte. Da sein Ansinnen unerwidert

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