Süchtig
Problemen! Wie geht es Ihnen, nach dem, was Sie gestern durchgemacht haben?«
Das wusste ich selbst nicht so recht. Mein Adrenalinrausch hatte ich mich nicht zur Ruhe kommen lassen, sodass ich die Ereignisse immer noch nicht einordnen konnte. »Ich bin müde.«
Verwirrt und frustriert war ich auch. Ich wollte wissen, was das für neue Informationen waren, von denen der Sergeant am Telefon gesprochen hatte, aber als Reporter
hatte mich die Erfahrung gelehrt, dass man sich seine Ungeduld besser nicht anmerken lässt. Informanten erzählen ihre Geschichte gern so, dass sie selbst im Rampenlicht stehen.
Wenn man Leute zum Reden bringen will, hilft es manchmal, selbst etwas preiszugeben. Also beschloss ich, Weller zu berichten, was ich wusste. Es war ein gewagtes Spiel. Auch wenn er über seine Kindheit plauderte, war und blieb er Polizist und hatte seine eigenen Verpflichtungen und Prioritäten.
Ich erzählte ihm das wenige, das ich wusste. Von der Nachricht, von Annie – und ihrer Handschrift -, von meinem Besuch bei Erin Coultran, ihrer Feindseligkeit und der kurzen Story, die sie mir aufgetischt hatte.
»Praktisch, dass sie genau im richtigen Augenblick zur Toilette musste«, meinte er.
»Finden Sie das verdächtig?«
Er zuckte die Achseln.
»Mr Idle, glauben Sie, dass die Frau, die Ihnen die Nachricht zugesteckt hat, Ihre Freundin war?«
Das war genau die Frage, der ich bis dahin ausgewichen war.
»Ich glaube nicht, Sergeant. Wie sollte das möglich sein?«
Ich sprach nicht aus, was ich dachte: Annie konnte nicht am Leben sein, sonst hätte sie sich schon längst mit mir in Verbindung gesetzt.
Er sah mich prüfend an. Je länger er mich musterte, desto sicherer war ich mir. Annie war tot. Punkt. Trotzdem hatte es jemand auf mich abgesehen. Jemand spielte mit mir, und zwar mit enormem Einsatz. Es war
an der Zeit herauszufinden, warum mich der Sergeant hatte kommen lassen.
»Ich muss wissen, was los ist, Sergeant.«
Er hob sein Glas und kippte den letzten Rest Cola hinunter. »Der Bezirksstaatsanwalt hat die Ermittlungen gegen Lieutenant Aravelos Bruders wieder aufgenommen.«
»Was?«, entfuhr es mir. »Warum?«
Timothy Aravelo war ein Schläger, wie er im Buche stand. Erst hatte er ein zwanzigjähriges Mädchen halbtot geschlagen, dann hatte er sich mit anderen Cops abgesprochen, um das Verbrechen zu vertuschen. Ich hegte den Verdacht, dass die Polizei bis in die höchsten Kreise korrupt war, hatte das aber nie beweisen können. Auf jeden Fall war ich mir hundertprozentig sicher, dass sich der Jüngere der beiden Aravelos nur durch seine Polizeimarke von einem Gangster unterschied.
»Teure Anwälte. Ein Berufungsrichter hat sich beschwatzen lassen, sich die Zeugenaussagen noch einmal vorzunehmen.«
Ich biss die Zähne zusammen.
»Wahrscheinlich keine große Sache«, meinte Weller, »aber Sie könnten eine harte Zeit vor sich haben. Wahrscheinlich müssen Sie noch einmal mit den Ermittlern reden.«
Ein Summen in Wellers Hosentasche unterbrach uns. Er holte einen Pager heraus.
»Mist!« Damit stand er auf. »Für die Untersuchung der Explosion bin ich nicht zuständig. Das ist Lieutenant Aravelos Fall. Aber ich beobachte die Ermittlungen.«
Er erklärte mir, dass die Mordrate in San Francisco
in den letzten Jahren einen neuen Höchststand erreicht hatte. Viele Verbrechen wurden nie aufgeklärt. Das galt vor allem für die armen Schwarzenviertel der Stadt, die von Gangs beherrscht wurden. Der Bürgermeister hatte es sich zum Ziel gesetzt, die ungeklärten Fälle zu lösen. Dabei hatte er sich bei der Polizei Feinde gemacht, weil er die Fähigkeiten der Gesetzeshüter öffentlich in Zweifel gezogen hatte. Zudem hatte er eine Verordnung erlassen, der zufolge spektakuläre Morde grundsätzlich von zwei Teams untersucht werden mussten. Zusätzlich zu den offiziellen Ermittlern wurden ein oder zwei Schattenermittler eingesetzt, die unabhängige Untersuchungen anstellten, selbstständig Hinweisen nachgingen und das Hauptteam mit Informationen versorgten. Soweit die Theorie. Manchmal heimsten diese Leute allerdings lieber selbst die Lorbeeren für eine Verhaftung ein.
Diese Konkurrenz schuf eine Atmosphäre des Misstrauens.
»Die Sache mit der Botschaft muss den richtigen Leuten zu Ohren kommen. Ich kenne einige der leitenden Ermittler in dem Fall. Wenn Sie nichts dagegen haben, sorge ich dafür, dass sich jemand mit Ihnen in Verbindung setzt«, meinte er. »Sie können natürlich auch direkt zu
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