Süchtig
hätten – wir redeten ununterbrochen. Trotzdem war ich ein wenig überrascht von ihrer Leidenschaft, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich nach unserem ersten Treffen kaum von ihr gehört hatte. Angeblich war sie einfach zu beschäftigt gewesen. Ihr Vater hatte sie in den nördlichen Bundesstaat New York geschickt, wo sie ein kleines Technologieunternehmen bewerten sollte. Das hatte ihre gesamte Zeit in Anspruch genommen, aber sie sagte, sie habe ständig an mich gedacht.
Es waren zwei wunderbare Tage mit guten Gesprächen, Take-away-Mahlzeiten und Strawberry Two, Annies Labrador, der nach einem Hund benannt war, den sie als Kind besessen hatte. Wir lernten uns im Schnellverfahren kennen. Annie mochte es nicht, wenn man ihren Hals anfasste, und beim Fernsehen ließ sie am liebsten das Licht an, um nicht die Verbindung zur Realität zu verlieren.
Sie hatte einmal eine Patenschaft für einen Jungen aus East Palo Alto übernommen und Spanisch gelernt, damit sie sich besser mit ihm verständigen konnte. Hochprozentiges vertrug sie gut, im Gegensatz zu Bier. Einmal im Monat schrieb sie mit der Hand einen Brief an ihre Mutter, die sich vor mehreren Jahren von ihrem
Vater hatte scheiden lassen und in den Staat Washington gezogen war. Sie korrespondierte gern. Angeblich sah ihre Handschrift immer ein wenig anders aus, je nachdem, an wen sie schrieb. Bei ihrer Mutter wurde ihre Schrift ein wenig runder, was von Zuneigung zeugte.
Es war kein konkreter Charakterzug, keine einzelne Fähigkeit, die mich an Annie faszinierte. So einfach ließ sich ihre Anziehungskraft nicht erklären. Sie war eine leidenschaftliche Frau mit klarem Verstand, die noch auf den Richtigen wartete, und sie gab mir das Gefühl, dass ich dieser Mensch sein konnte. Als ich am Montagmorgen aufwachte, war ich bis über beide Ohren verliebt. Bis zu unserem ersten Streit.
Einige Wochen später saß ich auf einem antiken Stuhl in ihrem Wohnzimmer und genoss mein Glück. Ekstatisch legte ich den Kopf so weit in den Nacken, dass ich umkippte. Ein Stuhlbein brach ab. Annie eilte herbei. Ich interessierte sie gar nicht.
»Kannst du denn nicht aufpassen?«
»Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte ich, während ich mir die blutende Hand hielt.
Ich ging in die Küche und ließ warmes Wasser über die Schnittwunde zwischen Handfläche und Daumen laufen. Da half nur ein Kreuzverband. Unterdessen hörte ich, wie Annie versuchte, das Bein an den Stuhl zu setzen. Schließlich sah sie sich meine Wunde an, blieb aber distanziert.
»Das war das erste Möbelstück, das ich mir selbst gekauft habe«, stellte sie in eisigem Ton fest.
Ich antwortete nicht. Grimmig schweigend verließ ich ihre Wohnung. Während der Nacht ging ich den
Zwischenfall immer wieder durch. Vielleicht lag es an unserer unterschiedlichen Erziehung. Annie trug Prada, ich Levi’s. Am frühen Morgen brachte mir ein Bote ein Terrarium mit einer kleinen Schnappschildkröte.
»Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich so bissig war«, lautete die dazugehörige Nachricht. »Kannst du mir verzeihen? A.«
Wenn in den folgenden Monaten einer von uns halsstarrig war oder wegen einer Kleinigkeit in die Luft ging, titulierte ihn der andere als »Turtle« – Schildkröte. Im Laufe der Zeit wurde das zu unserem ganz privaten Kosenamen.
Aber ich ließ mich nicht sofort erweichen. Nach unserem Streit setzte ich die Beziehung auf Sparflamme. Ich war misstrauisch geworden.
Eines Abends wollten wir nach einem Kinobesuch in mein Auto steigen, als Annie mich um die Schlüssel bat. Ich musste mich auf den Beifahrersitz setzen, und sie legte mir den Finger auf die Lippen, damit ich nichts sagte. Dann band sie mir einen schwarzen Schal vor die Augen. Ich musste lachen, als sie eine halbe Stunde lang kreuz und quer durch die Stadt fuhr. Offenbar durfte ich nicht wissen, was unser Ziel war. Ich sah mich schon nur mit einer Augenbinde bekleidet in einem Hotelbett landen.
Am Ende parkte sie den Wagen, führte mich in ein Gebäude, das mir bekannt vorkam, und eine Treppe hinauf. Ich erinnere mich noch, dass es nach Zimt und Keksen roch.
»Bitte vertrau mir wieder«, flüsterte sie mir ins Ohr.
Dann hörte ich sie eine Tür aufschließen. Sie nahm mir die Binde ab und sah mir in die Augen.
»Ich arbeite daran«, sagte ich.
Da merkte ich, dass wir in der Tür zu meiner Wohnung standen.
»Überraschung!« Annie führte mich zu einem Berg von Geschenken: einem Füllfederhalter, Büttenpapier mit meinen Initialen
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