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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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und einem neuen Mac mit einem riesigen Bildschirm. Das Ganze thronte auf einem antiken Mahagonischreibtisch. Annies Vater hatte mit einem seiner Geschäfte Millionen verdient, daran wollte sie mich teilhaben lassen. Ich fuhr mit der Hand über das geschnitzte Holz des Schreibtischs.
    »Auch ich bin käuflich«, erklärte ich. Es sollte ein Scherz sein, aber ich fragte mich, ob nicht ein Körnchen Wahrheit darin steckte.
    »Nein, bist du nicht«, erwiderte sie und nahm mein Gesicht in ihre Hände. »Das ist das Handwerkszeug des Schriftstellers. Und du bist Schriftsteller«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Schreib weiter. Sei kreativ.«
    Von da an verfasste ich Gedichte für Annie, sprach alberne Nachrichten auf ihren Anrufbeantworter und hinterließ Botschaften an ihrem Auto. Nie wieder zweifelte ich an ihr.

    Die Stimme des Pastors riss mich aus meinen Erinnerungen. Die Grabrede klang wie aus dem Lehrbuch. Simon Anderson, ein liebender Vater und Ehemann, ein freundlicher, strebsamer Mensch, war zu früh von uns gegangen. Danach sprach Andersons Bruder. Er sah auffällig gut aus, wie viele der Trauergäste. Selbst für San Francisco entdeckte ich erstaunlich viele attraktive
Menschen. Viele Männer trugen Krawatten, die mittlerweile Hochzeiten und Beerdigungen vorbehalten zu sein scheinen. Andersons Bruder beschrieb ihn als hochintelligenten Menschen, der auch ohne den Dotcom-Boom erfolgreich gewesen wäre. Simon Anderson war ein Pilot mit Unternehmergeist und natürlichem Charisma gewesen, ein Ehemann und Vater, dem seine Familie über alles ging.
    »Ich weiß, dass es zuletzt nicht immer einfach war«, sagte der Bruder mit einem Blick auf die Witwe. »Aber Mitleid war ihm zuwider. Ihr wisst, wie Simon war. Er hätte sich eine rauschende Totenfeier gewünscht. Trinken wir auf ihn!«
    Die Menge fing an, sich aufzulösen. Hunderte von Mobiltelefonen wurden gezückt. Es war wie am Flughafen, wenn die Maschine gerade gelandet ist. Ich sah mich nach jemandem um, mit dem ich persönlich sprechen konnte. Dabei fiel mir ein Mann im dunklen Anzug mit Gipsbein auf. Sein Gesicht war blutverkrustet. Bevor ich zu ihm gehen konnte, wurde er von zwei ernsthaft dreinblickenden Herren angesprochen, von denen einer einen Notizblock in der Hand hielt. Polizei. Ich wandte mich ab und schlenderte über die endlose Rasenfläche. Die Trauerfeier für Annie hatte in ähnlicher Umgebung stattgefunden. Als jede Hoffnung geschwunden war, sie oder zumindest ihre Leiche jemals zu finden, obwohl ihr Vater keine Kosten gescheut hatte, hatten Hunderte ihren tragischen Tod auf dem Meer betrauert.
    In geordneten Reihen rollten die Gäste vom Parkplatz. In einer der Sackgassen in der Nähe des riesigen Friedhofs fiel mir ein etwas abseits geparktes Auto auf,
das sich nicht von der Stelle rührte – ein verbeulter grüner Honda mit Skiträger. Die Fahrerin duckte sich hinter das Lenkrad.
    Erin Coultran.

11
    Ich dachte, Erin würde bei meinem Anblick Gas geben, aber sie fing nur an, das Fenster hochzukurbeln. Dann überlegte sie es sich offenbar anders. Ihr Blick war nachdenklich, soweit ich das durch die dunklen Gläser ihrer lilafarbenen Sonnenbrille erkennen konnte.
    »Steigen Sie ein«, sagte sie kurzentschlossen.
    Wir fuhren schweigend dahin, bis wir den Zug der Trauergäste hinter uns gelassen hatten. Offenbar hatte sie nicht viel für Menschenansammlungen übrig – zumindest nicht für diese hier. Wir hielten an einem Grabstein, der an »Frisky« erinnerte, eine »ganz besondere Katze«.
    »Sie trauern wohl lieber allein«, meinte ich.
    »Wie haben Sie eigentlich herausgefunden, dass der Bulle die Malaysierin fast umgebracht hätte?«
    Google. Was ich konnte, konnten andere auch.
    Ich griff in meine Brusttasche, wo ich das kleine Foto spürte. Vielleicht half das Bild Erins Gedächtnis auf die Sprünge. Wenn ich mir Annies Auftritt eingebildet hatte, war das jedoch völlig sinnlos.
    Ich ließ das Bild stecken. Die Aravelo-Story war kein Geheimnis, es sprach also nichts dagegen, wenn ich
Erin die Geschichte von Anfang an erzählte. Frühere Studienkollegen von mir arbeiteten am San Francisco General Hospital, einem Zentrum für Allgemeinmedizin, von dem aus die Patienten auf die verschiedenen Spezialkliniken verteilt wurden. Sie informierten mich häufig über interessante medizinische Themen, die für die großen Zeitungen entweder nicht von Interesse oder ohne medizinische Vorbildung nicht zu verstehen waren.
    »Dann sind Sie Arzt?«, fragte

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