Süchtig
sehen, was der Computer zu sagen hat.«
Sie ging zu ihrem Streifenwagen, setzte sich hinter das Lenkrad und fing an, meine Daten in ihren Bordcomputer einzugeben.
»Unterwäsche«, sagte Erin.
Sie beugte sich zu mir.
»Das einzige Mal, wo ich mit dem Gesetz in Konflikt geraten bin. Mein einziger Diebstahl.«
»Unterwäsche?«
»Ein rosa Slip. Sehr sexy«, erklärte sie. »Damals war ich vierzehn. Einige meiner Freundinnen fanden es cool, zu klauen. Eine Entwicklungsphase. Ich
wollte zeigen, wie mutig ich war, hatte aber furchtbare Angst.«
»Da war Reizwäsche natürlich bestens geeignet.«
Sie strich sich eine Strähne hinter das rechte Ohr, fuhr mit dem Zeigefinger die Linie ihres Kiefers bis zum Kinn nach. Es war ein schöner Finger. Als Kletterer fällt es mir immer schwer zu entscheiden, welcher Felsvorsprung sicheren Halt bietet. Bis jetzt war ich mir noch nicht sicher, ob ich mich an Erin klammern sollte.
»Nein, ich hatte ganz andere Motive«, erwiderte sie. »Ich dachte, so ein Slip lässt sich leicht verstecken. Mein Plan war, das Ding anzuprobieren und dann einfach damit zu verschwinden. Natürlich wurde ich erwischt. Am schlimmsten war, dass ich mich vor der Filialleiterin ausziehen musste. Das war eine nette ältere Frau, aber trotzdem … Zum Glück trug ich unter dem Tanga noch zwei meiner eigenen Unterhosen und Shorts. Mein Vater hätte mich fast enterbt. Der hielt noch auf Zucht und Ordnung. Ein Jahr lang durfte ich nur zu kirchlichen Veranstaltungen aus dem Haus.«
Hinter uns stieg die Streifenbeamtin aus dem Auto und ging in unsere Richtung.
»Wenn Sie ohne Leibesvisitation davonkommen, können Sie sich glücklich schätzen«, sagte Erin.
»Mr Idle«, sagte die Beamtin. Die förmliche Anrede verhieß nichts Gutes.
»Schon mal von vorsätzlicher Gefährdung des Stra ßenverkehrs gehört?«, fragte sie. »Bei uns sind zwei Anrufe von möglichen Augenzeugen eingegangen, unter
anderem von der Mutter eines Jungen, dem Sie fast über den Roller gefahren sind.«
»Was ist mit dem Notruf?« Erin gab nicht auf.
Die Polizistin atmete tief durch. Sie wirkte wie ein geduldiger Mensch, aber als Streifenbeamtin wurde ihre Langmut wohl auf eine harte Probe gestellt. »Der Anruf ist eingegangen und wurde bearbeitet.«
Sie erklärte uns, ein Streifenbeamter sei zufällig in der Nähe gewesen. »Officer Eldrige konnte weder Feuer noch Rauch entdecken«, sagte sie mit einem Blick auf den Notizblock in ihrer Hand. Sie sah auf.
»Ganz hoffnungslos ist die Sache nicht, Mr Idle. Möglicherweise kann ich noch einmal ein Auge zudrücken, wenn Sie mit zur Polizeistation kommen. Lieutenant Aravelo möchte mit Ihnen reden.«
Ich verabschiedete mich von Erin, und wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt.
Ich hatte erst ein einziges Mal in einem Polizeiwagen gesessen. Das war bei der Berufsberatung an der Junior Highschool gewesen. Zusammen mit meinem Freund versuchte ich damals, dem phlegmatischen Beamten ein paar aufregende Geschichten zu entlocken, aber er ließ sich nicht darauf ein. Schließlich fuhr er uns zu einem Friedhof.
»Macht etwas aus eurem Leben«, sagte er. »Seht zu, dass ihr gute Noten bekommt.«
Obwohl wir noch Jahre später darüber lachten, war uns mulmig zumute, wenn wir an den rätselhaften Vorfall dachten. Hatte er uns vor Augen führen wollen, wie kurz das Leben war? Oder wollte er uns umbringen, wenn wir nicht die besten Noten bekamen?
Andys Tod, sein Leben, Erin, ich selbst. Überall Ungewissheit, die nach Erklärungen schrie. Vielleicht war jedes Leben und jeder Tod ein ungelöstes Rätsel. Für Annie galt das auf jeden Fall.
Auf dem Weg zur Polizeistation schweiften meine Gedanken ab – zu einer Zeit, in der ich vor allem Wut und Verwirrung empfunden hatte. An ihrem Ende hatte der Tod gestanden.
17
»Das Schweigen der Rammler.«
»Furchtbar«, sagte Annie.
Wir hatten uns ein Spiel ausgedacht, bei dem wir alberne Pornotitel für populäre Filme erfinden mussten, aber Annie war nicht recht bei der Sache.
»Was ist mit Das große Fummeln?«
Wir waren auf dem Weg zum Marin Boat Club. Annie legte ihren Kopf auf meine Schulter. Es war ein wichtiger Tag, der zum Wendepunkt in unserer Beziehung werden sollte. Wir wollten den Herbstempfang des Yachtclubs besuchen. Nach langem Drängen hatte sie sich bereit erklärt, mir ihre Familie vorzustellen. In deren natürlichem Umfeld.
Annie sah sich um. »Teure Autos und Boote, Lobhudeleien in den Zeitungen, die
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