Süchtig
allgegenwärtige Selbstzufriedenheit – das ist ansteckend.«
»So etwas ist doch keine Krankheit.«
»Falls du jemandem hier die Hand gibst, wäschst du dich am besten hinterher gründlich.«
Das Lokal war brechend voll. Wir steuerten gerade auf die Bar zu, als wir eine erfreute Stimme hörten, die den allgemeinen Lärm übertönte.
»Prinzessin!«
Die Gäste um uns herum gaben den Weg frei, und Annies Vater stand vor uns. Er sah jünger aus, als ich erwartet hatte. Sein Haar war noch nicht ergraut, und er trug eine khakifarbene Hose und ein kurzärmeliges Button-down-Hemd. Die Uniform des Hightech-Titans.
»Daddy«, sagte Annie voller Wärme.
Er breitete die Arme aus. »Kann ich dich kurz allein sprechen?«
»Wir sind gleich wieder da, Turtle«, flüsterte sie.
Ich sah, wie sie ihn umarmte. Dann wurden sie von der Menge verschluckt. Ich ließ mich an der Bar nieder. Was Annie nur gegen diesen Lebensstil hatte? Alkoholische Getränke und Mini-Snacks gab es kostenlos. Ich fühlte mich wie im Country Club. Fehlte nur die Gratismassage.
»Wie geht’s, Doc?«
Als ich mich umdrehte, sah ich mich einem beunruhigend attraktiven Mann gegenüber. Vielleicht fand ich auch nur die Anrede beunruhigend, nachdem ich mich gerade erst entschlossen hatte, der Medizinerlaufbahn zu entsagen.
»Sie sind also mit Annie da«, stellte er fest.
»Ich halte an der Bar die Stellung.«
»Guter Geschmack«, sagte er. »Die Frau hat einen tollen Arsch.«
Als ich zusammenzuckte, brach er in Gelächter aus und streckte mir die Hand hin.
»Dave Elliott. Ich benehme mich grundsätzlich daneben.«
Elliott bezeichnete sich selbst als alten Freund der Familie Kindle. Er war viel gereist, in letzter Zeit vor allem
in Asien. Nun wollte er sesshaft werden. Er besaß ein Haus im Marin County und arbeitete als Anwalt in San Francisco, unter anderem für Annies Vater. Am vergangenen Wochenende hatte er in Pebble Beach mit ihm Golf gespielt.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich.
»Ich zahle Ihnen hundert Dollar, wenn Sie meinen Golfschläger verbrennen und mit dem Auto über die Asche fahren.«
Wir alberten eine Weile herum, wie es zwei Männer tun, die noch nicht wissen, was sie voneinander halten sollen. Schließlich fanden wir ein gemeinsames Interesse: Skifahren. Allerdings bevorzugte er im Gegensatz zu mir die exklusiven Wintersportorte in der Schweiz.
Ich gönnte mir einen kräftigen Schluck von meinem Tonic.
»Hat Annie was dagegen, wenn Sie sich besaufen?«
Ich zuckte die Achseln.
»Sie hat wieder mal die Hosen an, was?« Es klang, als wäre das allgemein bekannt. »Ihrem letzten Typen hat sie die Klamotten ausgesucht. Karos waren streng verboten.«
Ich sah, wie sich Annie mit entschlossener Miene den Weg durch die Menge bahnte.
»Hast du was dagegen, wenn wir früher gehen?«, fragte sie betont ruhig. Bei ihrem drohenden Blick verbot sich jede Frage.
Elliott wurde nicht von derartigen Skrupeln geplagt. »Cool bleiben, Annie. Trink erst mal was.« Dann sah er mich an. »Männliche Solidarität.«
»Hast du gerade kein Flittchen zur Hand, das dich ausnimmt?«, lautete Annies Antwort.
Als wir draußen standen, fiel mir auf, wie erhitzt sie wirkte. Ohne mich anzusehen, fing sie an, mir von den Problemen zu erzählen, die die Familie mit ihrer Investition in ein Start-up-Unternehmen im Staat New York hatte. Die Bewertung der Absatz- und Ertragsaussichten einer Internet-Start-up-Firma sei nicht einfach. Sie wolle konservativ agieren, aber ohne den Vorsprung vor der Konkurrenz einzubüßen. Ihr Vater habe ihr den Job übertragen, ließe sie aber nicht in Ruhe arbeiten. Ihr Blick war eisig.
»So lasse ich mich nicht behandeln. Der Mann ist ein Kontrollfreak.«
Ich wusste überhaupt nichts von einem solchen Projekt. Außerdem war ich überrascht, dass ihr Vater solche Stimmungsschwankungen auslösen konnte. Aber ich hatte andere Probleme. »Was ist mit Dave Elliott? Hattest du was mit ihm?«
Annie drehte sich zu mir um und lachte, als hätte ich schon lange nicht mehr so etwas Lustiges – und Absurdes – gesagt.
»Du lieber Himmel, bestimmt nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Obwohl er durchaus interessiert gewesen wäre.«
Wir saßen in meinem Auto, aber Annie griff vom Beifahrersitz aus nach dem Zündschlüssel, um unsere Abfahrt zu beschleunigen. »Ich war mit Dave eng befreundet. Er war nett und konnte gut zuhören. Ich vertraute ihm und erzählte ihm alles. Leider hegte er tiefere Gefühle für mich und
Weitere Kostenlose Bücher