Süchtig
Augenblick weniger aus wie Spiderman.
Wem wollte ich eigentlich imponieren? Ich schrieb für einen Dollar pro Wort medizinische Artikel und spielte an zwei Abenden in der Woche Freizeit-Basketball. Wenn ich besonders mutig aufgelegt war, aß ich Tunfisch-Sandwichs mit Majonäse, deren Haltbarkeitsdatum fast abgelaufen war. Ich spielte nicht einmal im Fernsehen den Arzt.
Aber das Adrenalin beflügelte mich zu ungewohntem Tatendrang. Vielleicht war es auch Annie, die mich inspirierte. Auf jeden Fall arbeitete ich mich bis auf einen halben Meter an das Fenster heran. Weiter schaffte ich es nicht. In der Ferne heulten Sirenen, die sich rasch näherten. Über mir sah ich den Kopf der Frau. Ihr Doppelkinn war auf die Fensterbank gesunken, und sie atmete immer noch viel zu schnell.
»Hallo!«, rief ich ihr zu. »Haben Sie schon mal gesehen, wie sich jemand das Genick gebrochen hat?«
»Was?«
»Wie heißen Sie?«
»Agnes.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben, Agnes.«
Sie drehte sich zur Seite und übergab sich. Ihr Kopf fiel kraftlos nach hinten. Da sie stark übergewichtig war, konnte eine Panik leicht zum Herzstillstand führen. Ihr Blutdruck musste mittlerweile schwindelnde Höhen erreicht haben. Ihre Augen starrten ins Leere. »Ich will nicht sterben.«
Plötzlich erschütterte eine Explosion das Haus. Meine Füße flatterten in der Luft, und ich konnte mich kaum halten. Verzweifelt klammerte ich mich fest. Aus dem Fenster schlug eine Hitzewelle. Die Flammen mussten schon ganz nah sein.
Sie fing wieder an, hektisch zu atmen. Die Tränen strömten ihr über das Gesicht, und sie zitterte. Ich musste sie ablenken. Dazu brauchte ich ihre Aufmerksamkeit.
»Was ist passiert, Agnes?«
Keine Antwort.
»Agnes! Sie müssen mir sagen, was passiert ist.«
Ihre Augen belebten sich. »Ich bin nur die Haushälterin. Heute ist eigentlich gar nicht mein Tag«, sagte sie zögernd. »Ich habe … ich war gerade beim Putzen. Dann ging alles … so schnell.«
»Hat es irgendwie nach Gas gerochen? Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Mit dumpfem Knall schlug eine Leiter gegen das Fensterbrett. Ich war so beschäftigt gewesen, dass
ich das Eintreffen der Feuerwehr gar nicht bemerkt hatte.
»Vielleicht war es Gas. Keine Ahnung. Als ich hergekommen bin, war das Haus leer. Alle waren auf der Beerdigung. Nur so eine Elektrikerin war da, die hat gesagt, sie muss im Keller Kabel verlegen …«
Eine weitere Explosion schnitt ihr das Wort ab, aber nun hatten die Feuerwehrleute sie erreicht. Einer der Männer legte den Arm um sie. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und wurde über eine zweite Leiter zurück zum Boden geleitet.
Unten angekommen, suchte ich in der wachsenden Menge nach Erin. Sie hatte das Auto nicht verlassen und schien völlig neben sich zu stehen.
»Oh.«
Das war ihr ganzer Kommentar. Offenbar war sie nicht in der Lage, komplexeren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
»Die Sache eskaliert«, sagte ich.
»Was?«
»Die Explosion. Andy, Simon. Und nun das Feuer. Irgendwie hat das mit dem Sunshine Café zu tun. Alles dreht sich um das Café.«
Zumindest für mich war das eine völlig neue Erkenntnis. Bis dahin hatte ich kein Muster erkennen können.
Sie berührte mein Gesicht mit der Hand. »Was ist passiert?«, fragte sie schließlich.
Ich erzählte ihr, was ich in Erfahrung gebracht hatte. Vielleicht hatte jemand die elektrischen Leitungen sabotiert.
Elektrik.
Ich zuckte zusammen.
»Andys Wohnung«, entfuhr es mir.
Erin verstand gar nichts. »Was ist damit?«
»Vor seiner Wohnung. Der Handwerker im Gang hat sich an der Beleuchtung zu schaffen gemacht. Die versuchen, das Haus niederzubrennen!«
Ich ließ den Motor an.
»Wir müssen los«, sagte ich. »Und zwar sofort!«
15
Während Erin die Notrufnummer wählte, raste ich durch Laguna Honda. Das war ein Schleichweg zu Andys Wohnung in Cole Valley.
Ich schoss um einen Windstar-Minivan herum und löste damit ein Hupkonzert aus.
»Ich möchte einen möglichen Brand melden«, sagte Erin.
Ich hörte natürlich nur ihren Teil des Gesprächs.
»Nein, keine Flammen, kein Rauch.«
Die Zentrale hakte nach. Erin nannte Andys Adresse.
Ich gab Gas. Die Reifen quietschten, und der Tacho zeigte achtzig.
»Hören Sie, seine Wohnung ist möglicherweise Ziel eines Anschlags.«
Schließlich klappte sie ihr Telefon zu und teilte mir mit, dass ein Beamter vorbeikommen würde.
In Haight-Ashbury musste ich abrupt bremsen. Vor uns war die Straße
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