Süchtig
Berechnungen, mit denen wir die Firmengründer für uns gewonnen haben, stammen von mir. Er hat kein Recht, mich wie einen Menschen zweiter Klasse zu behandeln.«
Ich packte sie an den Schultern, wie um sie zu schütteln, und flüsterte: »Hör auf!«
Sie sah mich an und wich einen Schritt zurück.
»Annie Leigh Kindle, ich liebe dich. Eines Tages werde ich dich heiraten. Wir werden Kinder, Hunde
und Fische haben. Ich werde die Brötchen verdienen. Wenn du willst, kannst du die Tierärztin der Familie sein. Solange wir zusammen sind, ist es völlig egal, was du tust.«
Zuerst lächelte sie schwach. Dann weinte sie zum ersten Mal seit langer, langer Zeit. Die Tränen strömten ihr über das Gesicht.
»Ich will weg«, flüsterte sie schließlich.
»Gute Idee. Kündige. Wir fahren weit weg – nach Italien oder Brasilien oder so – und ziehen in ein Landhaus.«
Annie trocknete sich die Augen, löste sich von mir und wandte den Blick ab. »Weg von dir.«
Das konnte nur ein Missverständnis sein. »Wovon redest du?«
»Weg«, flüsterte sie und schien mir plötzlich unerreichbar fern.
»Wieso das auf einmal?«
Annie sah mir direkt in die Augen. Dann senkte sie den Kopf und presste Daumen und Zeigefinger gegen ihren Nasenrücken. Nach einer Zeit, die mir endlos vorkam, legte sie die Hand an die Stirn und lachte.
»Annie?«
Das Lachen wollte nicht aufhören.
»Nur ein Witz. Das nimmt mir doch sowieso niemand ab«, sagte sie.
Sie nahm meine Hand.
»Was rede ich denn da?«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre ein Zauber von ihr abgefallen.
»Annie, hast du gerade versucht, dich von mir zu trennen?«
»Erzähl mir von dem Landhaus«, sagte sie. »Bitte.«
»Warum hast du das gesagt? Wie kommst du auf so etwas?«
Annie nahm mir die Schlüssel aus der Hand und küsste mich auf die Wange.
»Ich weiß, was du für mich empfindest. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutet. Deine Liebe ist so unglaublich stark«, sagte sie lächelnd. »Ich bin eine Frau, und Frauen sind launisch. Können wir es für heute dabei belassen?«
Mir war nicht nach Scherzen. Ich konnte darüber nicht lachen.
»Ich verspreche es«, sagte Annie.
»Was versprichst du?«
»Dass ich mich nie von dir trennen werde, solange ich lebe.«
19
Annie war eine erfahrene Seglerin – und sie war nicht allein gewesen. Wir waren zu fünft mit der Yacht hinausgefahren, gemeinsam mit Freunden von Annie, die auch meine geworden waren. Zu ihnen gehörte unter anderen Sarah, die ich von meiner ersten Begegnung mit Annie kannte.
Der Regen war gar nicht besonders stark. Es war relativ warm, aber das Deck war schlüpfrig. Wir waren mit dem Boot der Kindles eine Meile vor der Küste von Santa Cruz unterwegs.
Annie befestigte am Heck eine Leine, als plötzlich eine Welle über das Deck schwappte. Ich hörte nur, wie sie meinen Namen rief. Als ich nach achtern ging, traf uns eine weitere Welle. Ich begegnete ihrem Blick, als sie über Bord ging. Im ersten Augenblick schien es gar nicht so eine Katastrophe zu sein. So stark war der Seegang auch wieder nicht. Wir nahmen die Sache nicht auf die leichte Schulter, gerieten jedoch nicht in Panik. Ich griff nach einem Rettungsring und rannte zur Reling, aber im Wasser unter mir war keine Annie zu sehen. Ich rief nach ihr. Nichts. Dann sprang ich.
Die Wellen waren unangenehm, aber zu bewältigen.
Wo konnte sie nur sein? Hatte sie sich den Kopf an der Bordwand angeschlagen und war untergegangen? Ich schwamm in Kreisen um das Boot und tauchte so tief, wie ich konnte. Dabei hielt ich mich an einer Leine fest, die mir die anderen zugeworfen hatten, damit ich nicht selbst ertrank.
Trotzdem wäre ich fast ums Leben gekommen. Ich schwamm bis zur völligen Erschöpfung und musste schließlich verzweifelt und untröstlich aus dem Wasser gezogen werden.
Wir warfen natürlich Anker. Dann ließen wir ein Schlauchboot zu Wasser. Stundenlang suchten wir, unterstützt von der Küstenwache. Annies Vater engagierte eine ganze Armada, die tagelang das Wasser absuchte.
Ohne Erfolg.
20
In Gedanken war ich immer noch bei der Vergangenheit, als mich Officer Sampson am San Francisco Police Department ablieferte, ein paar Formulare ausfüllte und mich auf eine Bank setzte, wo ich auf Lieutenant Aravelo warten sollte. Ich versuchte, jeden Blickkontakt mit den vorübergehenden Beamten zu vermeiden. Vielleicht wusste jemand von der Sache mit Aravelos Bruder. Auf boshafte Kommentare und giftige Blicke konnte
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