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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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ich nicht entnehmen, ob er von Andy Goldstein und Simon Anderson gehört hatte.
    »Ich will mit meinem Anwalt reden«, sagte ich. Warum war mir das eigentlich nicht eher eingefallen? Wahrscheinlich, weil ich mich nie als potenziellen Verdächtigen gesehen hatte. »Sie sind nicht der Einzige, der wissen will, was hier läuft«, erklärte ich und stand
auf. »Der Unterschied ist nur, dass ich effizienter arbeite als Sie.« Frustration, Verwirrung, Adrenalin und Sehnsucht sind eine explosive Mischung, und ich war mit meiner Geduld am Ende.
    Aravelo schlug mit der Faust auf den Tisch. »Lassen Sie bloß die Finger von meinem Fall!«

    Vor Wut kochend verließ ich das Gebäude. Dabei stellte ich mir vor, wie ich Aravelo grün und blau schlug. Eine Teenagerfantasie.
    Ich hatte seit zwei Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Mein Nacken war völlig verspannt – eine deutliche Botschaft der Muskeln an das Gehirn. Wenn ich mir keine Ruhe gönnte, würden sie den Dienst versagen und mich ins Bett zwingen. Ich lehnte meinen Kopf an die Fassade und versuchte, mich zu beruhigen, indem ich mir die medizinischen Ursachen für diese Stressreaktion vor Augen führte. Alles Biochemie. Ich litt unter einer akuten Belastungsstörung, die durch die Konfrontation mit dem Tod ausgelöst worden war. Die Symptome konnten sehr ernst sein: Angstzustände, Wahrnehmungsstörungen, ja sogar dissoziative Amnesie. Konnte ich mich überhaupt noch richtig an die Ereignisse im Café erinnern?
    Ich schloss die Augen und holte tief Luft. In diesem Augenblick klingelte das Telefon.
    »Wir müssen hier weg«, sagte Erin.

21
    Erin sammelte mich zwei Straßen weiter auf. Das Auto roch nach Lebensmitteln, und im Fond stapelten sich die Einkaufstüten.
    »Lieutenant Aravelo ist ein gefährlicher Mensch«, sagte ich.
    »Den Eindruck habe ich auch.«
    »Für ihn ist das Gehirn ein Werkzeug, das er einsetzt wie sein Bruder eine Taschenlampe.«
    »Und wie ist das?«
    »Wie einen Vorschlaghammer.«
    »Können Sie sich bitte genauer ausdrücken?« Erin verlor allmählich die Geduld. »Was haben Sie in Erfahrung gebracht?«
    In meinem Kopf hämmerte es.
    Ich rieb mir die Schläfen. »Er hat mich nach Ihnen gefragt.«
    »Wieso das?«, fragte sie, offenkundig verstört.
    »Er hat mir Ihr Bild gezeigt und wollte wissen, ob ich Sie im Café gesehen habe.«
    Erin nahm die Hand vom Lenkrad, steckte den Daumen in den Mund und kaute darauf herum. »Warum tut er so etwas?«
    »Ich habe keine Ahnung.«

    »Hat er Ihnen auch erklärt, warum er das wissen wollte?«
    »Ich glaube nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen«, erwiderte ich. »Er hat gesagt, er interessiert sich für alle Überlebenden des Anschlags.«
    Noch während ich sprach, wurde mir klar, wie wenig plausibel das selbst für meine eigenen Ohren klang. Es hatte eine Handvoll Überlebende gegeben. Warum also wurde ich nur nach einer davon gefragt?
    Aus dem Medizinstudium wusste ich, warum bei Operationen ein Vorhang zwischen Kopf und Körper des Patienten angebracht wird. Angeblich, um die Privatsphäre des Patienten zu schützen und zu verhindern, dass er etwas sieht, das ihn beunruhigt. Tatsächlich soll dem Chirurgen nicht vor Augen geführt werden, dass das Fleisch, in dem er herumschneidet, zu einem echten Menschen gehört, damit er nicht die Nerven verliert. Es gewährleistet die nötige Distanz. Im Augenblick hätte ich mir Erin gern mit dieser professionellen Distanz angesehen, um mir ein objektives Bild zu verschaffen. Von ihr, Aravelo, Danny Weller, den anderen Beteiligten.
    »Ich habe denen alles gesagt, was ich weiß«, sagte Erin. »Ich habe nichts gesehen.«
    »Weil Sie auf der Toilette waren.«
    »Ich hasse Bullen«, verkündete sie.
    Die Worte hingen in der Luft.
    »Was für ein Bild hatten die von mir?«, fragte sie etwas ruhiger.
    »Ein Porträt. Sie sehen aus, als … etwas jünger eben. Vielleicht zehn Jahre. Ich glaube, Sie hatten einen Pulli an.«

    Erins Ziel war ein einsam gelegenes Haus in der Gegend von Santa Rosa, das einer Freundin von ihr gehörte. Sie lud mich ein mitzukommen und versprach mir, für mich zu kochen, während ich mich ausschlief. Genau das, was ich brauchte. Wir fuhren bei mir zu Hause vorbei, damit ich die Katze füttern und Kleidung zum Wechseln, meinen Laptop und meine Arbeitsunterlagen mitnehmen konnte. Ich hegte die vage Hoffnung, an meinem nur allzu bald fälligen Artikel arbeiten zu können.
    Erin erzählte mir, wie sie die letzten Stunden verbracht hatte.

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