Süchtig
ich gut verzichten.
Was konnte für mich bei diesem Gespräch herausspringen? Aravelo wollte mich mit Sicherheit nach Strich und Faden ausquetschen. Dass er mir im Gegenzug Informationen lieferte, war unwahrscheinlich. Zumindest nicht absichtlich. Oder ließ er sich vielleicht doch auf einen Handel ein?
Während ich wartete, hörte ich meinen Anrufbeantworter ab. Zwei Nachrichten. »Wollte nur wissen, wie es mit dem Artikel läuft.« Das war Kevin, mein Redakteur. »Ruf mich an, wenn du Zeit hast.« Er hatte aufgehängt, ohne sich zu verabschieden. Typisch.
Die zweite Nachricht war von Samantha, die mich an meinen Akupunkturtermin für den nächsten Tag erinnern wollte. »Wir müssen intensiv an deinem
Gallenblasenmeridian arbeiten, das habe ich im Gefühl.«
Auf der Suche nach Ablenkung blätterte ich in den gespeicherten Nummern. Eine davon hatte ich seit Jahren nicht mehr gewählt und wusste gar nicht, ob sie noch aktuell war: Louise Elpers, Ehe- und Familienberaterin. Ich hatte sie unter »Gehirndoktor« verzeichnet. Nach Annies Tod hatte ich ein paar Sitzungen bei ihr gehabt, um wenigstens in Grundzügen zu lernen, wie ich mit meinem Kummer umgehen sollte. Ich wusste noch, dass sie gesagt hatte, ich würde Annie verständlicherweise idealisieren. Das half mir auch nicht weiter.
In der Woche nach Annies Tod hatte ich nur einmal einen Anfall von Realitätsbewusstsein: als ich mich in einem Costco-Großmarkt mit industriellen Mengen Trockenfleischsnacks, zwei Kilo Erdnüssen und einer Kiste Limo eindeckte. Ich wollte keinen Zwischenstopp einlegen müssen. Neun Stunden lang fuhr ich direkt nach Osten, weg vom Meer. Schließlich landete ich in Litham, einem Ort mit achthundertvierzehn Einwohnern irgendwo in Nevada. Gleich neben der Tankstelle lag ein Restaurant mit dem Namen »Gas and Steak«. Wahrscheinlich hatten beide denselben Eigentümer.
Ein Teenagerpärchen balgte sich spielerisch. Plötzlich zog der Junge eine knallgrüne Wasserpistole aus dem Gürtel, zielte und schoss. Seine Freundin hielt sich die Augen zu und quietschte vor Entzücken. Dann fiel sie ihm um den Hals und fing an, sein Gesicht zu küssen. Ich brach in Tränen aus und hörte nicht einmal, dass mich der Tankwart bat, die Zapfsäule freizugeben.
Ein Beamter sprach mich an. »Lieutenant Aravelo erwartet Sie.«
Als Journalist war ich bei meinen Interviews immer in der stärkeren Position gewesen. Ich war derjenige, der die Fragen stellte. Auch wenn mein Gegenüber mehr Geld oder Einfluss besaß als ich, verlieh mir die Tatsache, dass ich über diese Person schreiben würde, eine gewisse Autorität. Bei Lieutenant Aravelo war das anders.
Er trug Uniform und hatte das blütenweiße Hemd in die Hose gesteckt. Während er mich aufforderte, Platz zu nehmen, summte ein Wecker auf seinem Schreibtisch. Er stellte ihn ab, öffnete eine Schublade und holte eine Tüte Mandeln und eine Banane heraus.
»Regelmäßige, leichte Mahlzeiten«, erklärte er mir.
Auf der Tischfläche vor ihm lag ein grobkörniges Farbfoto, das aussah, als sei es mit einer Einwegkamera aufgenommen.
»Wer ist das?«, fragte Aravelo.
Sie war blond, hatte hohe Wangenknochen und trug eine hochgeschlossene Bluse. Ich spürte, wie mein Adrenalinspiegel stieg, wusste aber nicht recht, warum.
Lieutenant Aravelo war mein Zögern nicht entgangen.
»Was können Sie mir über die Frau sagen?«, fragte er. »Ich will alles wissen, was Sie wissen, Dodo.«
Die Bildqualität war derartig schlecht, dass ich die Frau auch dann nicht hätte identifizieren können, wenn ich sie gekannt hätte. Die Augen wirkten abwesend und verschwommen.
»Wie wär’s, wenn Sie aufhören, mich zu beleidigen, indem Sie mich mit diesem albernen Namen anreden?«
»Sagen Sie mir, was Sie wissen, Mr Idle.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich habe keine Ahnung, wer die Frau ist.«
Offenbar klang das überzeugend. Aravelo sagte erst einmal gar nichts mehr. Stattdessen biss er genüsslich von seiner Banane ab. Er kaute geradezu absurd langsam. Vielleicht gehörte das zu seiner Diät.
»Was ist mit der hier?« Der Lieutenant hielt ein weiteres Foto in die Höhe.
Diesmal war der Adrenalinstoß gerechtfertigt, aber ich ließ mir nichts anmerken. Er legte ein Foto auf den Tisch. Es musste etwa zehn Jahre alt sein, denn die Haut um die Augen zeigte noch keine Fältchen.
»Das ist Erin Coultran«, erklärte Aravelo. »Kellnerin im Sunshine Café.«
Ich hielt die Luft an. »Die erkenne ich wieder.«
Er
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