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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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mich ein wenig. Anders als viele Computerfreaks besaß Mike durchaus soziale Kompetenz.
Er interessierte sich für den größeren Zusammenhang und nicht nur für Bits und Bytes. Allerdings hatte er keine Ahnung, welche Bedeutung dieser Rechner möglicherweise besaß. Möglicherweise. Vielleicht steckte gar nichts dahinter.
    »Auf Andys Computer ist also ein merkwürdiges Programm installiert?«, fragte Erin.
    »Hört sich ganz danach an.«
    »Was bedeutet das?«
    Vielleicht war das Programm harmlos. Vielleicht war es ein Videospiel, das Andy durch ein Passwort geschützt hatte. Ungewissheit über Ungewissheit. Ich hatte keinen blassen Schimmer, und das sah man mir offenbar an. Erin lachte.
    Als sie davonging, warf ich einen verstohlenen Blick in ihre Richtung. Sie trug Jeans, und auf der rechten hinteren Hosentasche war eine rote Blume eingestickt. Ich wollte ihr vertrauen, und es gelang mir zunehmend, aber ich wusste so gut wie nichts über Erin Coultran. Nichts über ihre Geschichte, ihre Herkunft, ihre Bildung. Wir hatten einen Tag miteinander verbracht, aber bisher hatte ich nur in Erfahrung gebracht, dass sie in kritischen Situationen nicht die Nerven verlor.
    Der Punkt kam auf meine Liste von Dingen, die ich herausfinden musste.
    Ich streckte mich auf der Couch aus und schaltete mein Handy aus – in unseren Zeiten unbedingte Voraussetzung für ungestörten Schlaf. Aber es klappte nicht. Ich schaltete das Gerät sofort wieder ein, weil ich noch etwas zu erledigen hatte.

    Während ich die Nummer wählte, fragte ich mich, auf welcher Seite Sergeant Weller stand. Wie immer traf er sofort den richtigen Ton.
    »Ich suche ein Wort mit vierzehn Buchstaben. Hat was mit mangelnder Courage und Wirbelsäulenfortsatz zu tun.«
    »Werden Sie nicht aus Steuergeldern bezahlt?«
    »Deswegen brauche ich ja dringend eine Antwort. Sonst kann ich meine Pflicht nicht erfüllen und Donuts essen. Moment mal, ich suche mir eine ruhige Ecke.«
    Es wurde ein ziemlich langer Moment.
    »Schlappschwanz«, sagte ich, nachdem ich die Buchstaben an den Fingern abgezählt hatte. Vierzehn.
    »Wir werden noch gute Freunde.«
    Weller fragte mich, ob es bei dem Treffen um sechs Uhr blieb, aber ich bat ihn, unseren Termin auf den nächsten Vormittag zu verschieben. Dann erzählte ich ihm, wo ich war und mit wem.
    »Mit der Kellnerin?« Er klang überrascht.
    Ich erklärte ihm, dass wir beide Ruhe brauchten. Er sagte gar nichts. Aus seiner Sicht musste es höchst merkwürdig wirken, dass ich mich mit Erin herumtrieb – um nicht zu sagen verdächtig. Zwei Überlebende der Explosion, die sich gemeinsam an einen einsamen Ort zurückzogen. Um ihn zu beruhigen, versprach ich ihm interessante Informationen. Zum Beispiel, dass Aravelo mich einbestellt hatte, um mir eine Standpauke zu halten. Wieder wirkte er aufrichtig überrascht. Sein Kommentar kam nicht unerwartet.
    »Er ist kein guter Mensch.«
    Sergeant Weller erzählte mir von der langjährigen Rivalität zwischen den beiden. Zweimal hatte Aravelo
seine Beförderung verhindert. Seit Weller vom Morddezernat einem der Schattenteams zugeordnet worden war, die die eigentlichen Ermittler überwachten, hatte sich der Konkurrenzkampf noch verschärft.
    »Er hat sich sein eigenes kleines Reich geschaffen. Alles harte Burschen, die sich nur an ihre eigenen Regeln halten. Für Intellektuelle haben die nichts übrig.«
    Eigentlich war mir der Konflikt zwischen den beiden ziemlich egal. Ich fragte Weller, was er über das Café in Erfahrung gebracht hatte. Das wollte er mir lieber persönlich erzählen. Dafür berichtete ich ihm meinerseits von dem Laptop und Andys Erkrankung. Auch das schien ihm zu denken zu geben.
    »Morgen«, sagte er dann. »So früh wie möglich. Am besten zum Frühstück.«
    Ich war einverstanden.
    »Noch etwas, Mr Idle. Trauen Sie niemanden.«

23
    »Wissen Sie, was Sie brauchen?«, fragte Erin.
    »Menschliche Wärme?«
    »Ich dachte eher an Tee.«
    Sie setzte sich neben mich. Ihre Fingernägel waren lang und gepflegt. Wenn sie wollte, konnte sie sehr weiblich sein, geradezu weich.
    Das war mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief.
    Ich saß im Schneidersitz auf einem winzigen Eisblock und trieb durch milchig blaues Wasser. Es hätte die Arktis sein können, nur dass auf den Eisschollen um mich herum schwarze Panter saßen. Manche funkelten mich drohend an, andere leckten sich die Pfoten und räkelten sich. Sie warteten darauf, dass mir ein Fehler unterlief. Ich zitterte vor Kälte.

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