Süchtig
besorgen? Ritalin oder Crack? Eine minimale Dosis Crack wäre ideal.«
Ritalin? Das Zeug, das Kindern mit einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom verschrieben wurde? Crack? Ich?
»Du bist einfach nur müde, Nat. Wenn du nichts Stärkeres bekommen kannst, pump dich mit Zucker und Koffein voll. Das wird dich aufrecht halten.«
Zucker und Koffein.
Wo war die Annie, die ich gekannt hatte?
»Ist Zucker nicht verschreibungspflichtig?«
Ich hatte gehofft, meine alte Annie wiederzufinden. Vergeblich.
»Ich muss aufhören.« Ihre Stimme wurde eindringlich. »Nathaniel, du musst mir unbedingt diesen Laptop bringen.«
Ich rang nach Luft.
»Damit können wir uns unsere Freiheit erkaufen.«
Unsere Freiheit.
»Ich kann es gar nicht erwarten, dich zu sehen, Turtle. Vergiss den Laptop nicht. Ohne den sind wir verloren.«
Dann hatte sie aufgelegt.
Ich stand auf. Das wenige Blut, das noch in meinem Gehirn zirkulierte, sackte umgehend in meine Gliedma ßen. Ich wartete, bis der Schwindel verflogen war, warf einen Blick auf die immer noch schlafende Samantha und stolperte in Richtung Explorer.
Annie lebte. Wie war das möglich? Aber ich hatte ihre warme Stimme gehört. Der stählerne Unterton hatte mir schon während unserer Beziehung nicht gefallen, aber damals war er mir nicht so dominant vorgekommen. Auf jeden Fall war es eindeutig Annie gewesen. Der geheimnisvolle Ford würde mir verraten, wo sie sich versteckt hielt.
Als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, packte mich ein unbehagliches Gefühl. Ich beschloss, meinen schmerzenden Hals zu ignorieren, und vorsichtshalber unter dem Auto nachzusehen. Irgendwelche Auffälligkeiten,
die auf eine Bedrohung wie zum Beispiel eine Bombe hindeuteten?
Ich konnte nichts Verdächtiges entdecken.
Schließlich stemmte ich mich ab, als wollte ich Liegestützen machen, und erhob mich. Wie Phönix aus der Asche – ein Phönix mit blauen Leinenschuhen. Annie erwartete mich. Und Erin auch. Ich öffnete die Autotür.
»Es geht aufwärts«, stellte ich fest.
Als ich einstieg, fiel mir sofort der antiseptische Geruch von sauber geschrubbtem Leder auf. Ohne zu zögern, griff ich nach dem Handschuhfach, wo ich einen cremefarbenen Umschlag fand. Er enthielt eine Schwarzweiß-Karte von Nevada. Der einzige Farbtupfer war ein blutroter Kreis um Boulder City. Der winzigen Schrift nach zu urteilen, konnte die Stadt ganz in der Nähe von Hoover Dam und Lake Mead nicht groß sein.
Auf dem Rand der Karte hatte jemand Anweisungen für mich hinterlassen. Ich sollte am Nachmittag des folgenden Tages in Boulder City sein. Mir blieben also fast zwanzig Stunden.
»Die Adresse gebe ich telefonisch durch«, stand darunter. Die mit Schreibmaschine geschriebene Nachricht war nicht unterzeichnet, sondern mit dem Bild einer Schildkröte gestempelt.
Wie ferngesteuert, trug ich Samantha zum Auto und setzte sie auf den Rücksitz. Bis jetzt hatte die Wirkung des Schlafmittels bei ihr offenkundig noch nicht nachgelassen. Ich ließ den Motor an.
Manchmal habe ich meine kreativen Augenblicke
mitten in der Nacht. Oder unter der Dusche. Einmal sogar während einer besonders deprimierenden Reihe von One-Night-Stands achtzehn Monate nach Annies Verschwinden, während ich mit einer Frau im Bett lag, die Armbänder aus buntem Plastik und Menschenhaar flocht. Diesmal hatte ich gerade den Rückwärtsgang eingelegt.
Der Klang von Annies Stimme verfolgte mich, dieser merkwürdige Ton, in dem sie mich angewiesen hatte, ihr den Laptop zu bringen und mich mit Zucker und Koffein wach zu halten. Ich trat auf die Bremse, und das Ungetüm von Geländewagen kam zum Stehen.
Meine Gedanken überstürzten sich. Scheinbar unzusammenhängende Bilder tauchten vor meinen Augen auf. Andy Goldsteins Laptop, dem alle nachjagten, seine Kopfschmerzen und scheinbare Abhängigkeit von Aufputschmitteln. Die Laborratten mit den Löchern im Schädel. Jemand experimentierte mit Ratten und maß ihre Gehirnaktivität.
Besorg dir Aufputschmittel, hatte Annie gesagt. Oder pump dich zumindest mit Zucker und Koffein voll.
Zum ersten Mal bekam ich eine vage Vorstellung von dem, was gespielt wurde.
Ich griff in meine Jeans und fühlte tatsächlich den zerrissenen, blutverschmierten Zettel, den ich bei Strawberry Labs gefunden hatte. Auf der linken Seite standen die Codes der Versuchstiere: A1, A2 und so weiter, bis zu A15. Dann B1 bis B5. Schließlich folgten einige Zahlenkombinationen mit C.
Mindestens drei Dutzend. Das waren mehr, als ich im
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